PANAMERICANA – Barbara & Volker

23. August 2010

45 Auf der Grande Brasile von Buenos Aires nach Emden

Filed under: 45 Per Schiff nach Hause — vokobremen @ 17:09

27.6. – 19.7.2010  Um 8 Uhr morgens stehen wir am Hafen. Nach uns kommen drei weitere Fahrzeuge, die ebenfalls mit der Grande Brasile verschifft werden – zwei französische Familien mit ihren Alkoven-Wohnmobilen und ein Paar aus Luxemburg mit einem expeditionsmäßig ausgerüsteten Land Rover. Bis zur Zollkontrolle vergehen allerdings noch zwei Stunden und da der Scanner, mit dem die Fahrzeuge üblicherweise durchleuchtet werden, defekt ist, schnüffelt ein Spürhund an unseren Campern herum, findet aber weder Waffen, noch Drogen. Endlich fahren wir an Bord. Die Autos werden im Laderaum in freie Lücken verteilt und verzurrt; dann können wir in unsere Kabinen.

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Die Grande Brasile ist ein ConRo-Frachter, d. h. sie befördert sowohl Container und Schwergut auf Deck als auch rollendes Gut (Fahrzeuge und Stückgut auf rollenden Paletten) im Laderaum unter Deck. Das 56.000-Tonnen-Schiff ist 214 m lang und 32,25 m breit und passt damit gerade so durch den Panama-Kanal. Die Besatzung besteht aus Kapitän, 5 Offizieren, 3 Ingenieuren und 20 Mannschaften, davon 2 Frauen. Der Käptn und vier der Offiziere sind Schweden, alle anderen Phillipinos. Die Sprache an Bord ist natürlich Englisch. In den nicht benötigten 6 Kabinen werden bis zu 12 Passagiere mitgenommen, meist solche, die auch ihr Auto an Bord haben.

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Den Passagieren wird keine Extrawurst gebraten. Sie bekommen das gleiche Essen wie die Mannschaft, auch zu den gleichen Zeiten: von 7:30-8:00 Uhr, von 12:00-12:30 Uhr und von 18:00-18:30 Uhr. Verantwortlich dafür sind der Chefkoch und Leah. Wir essen mit in der Offiziersmesse, Kapitäns- und Mannschaftsmesse sind separat. Für Spaß und Unterhaltung muss man selbst sorgen. Dafür stehen ein Fitnessraum, ein Aufenthaltsraum mit DVD-Player und reichhaltiger DVD-Sammlung (Schwedisch mit englischen Untertiteln oder Englisch) sowie eine Bibliothek und ein E-Mail-Computer zur Verfügung; und das ganze Deck mit einer windgeschützten Sitzecke und einem Schwimmbecken. Das alles muss man natürlich mit der Besatzung teilen, aber die hat neben ihrer 61stündigen Arbeitswoche wenig Zeit und zieht sich nach einem harten Arbeitstag gern in die Kabinen zurück. Fernsehempfang haben wir bedauerlicherweise nicht, was angesichts der aussichtsreichen Position der deutschen Mannschaft in der Fußball-WM schon weh tut.

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Fast zwei Tage dauert das Be- und Entladen der Grande Brasil im Hafen von Buenos Aires. Die meiste Zeit sind wir an Deck und schauen aus schwindelnder Höhe zu, wie die Container auf LKWs angeliefert, von riesigen Verladebrücken an Bord gehievt und von „Mulis“ gestapelt werden. Dann heißt es Abschied nehmen – von Buenos Aires und einer einjährigen Landreise über den gesamten amerikanischen Kontinent. Die Fensterscheiben der Hochhäuser blitzen im Abendlicht noch einmal golden auf und die Hafenkräne recken grüßend ihre Ausleger in den roten Himmel – Adios Argentina. Gegen Mitternacht legen wir bei sternklarem Himmel ab. In der Kabine spielt Barbara einen Tango von Carlos Gardel – „Volver“ (Zurückkehren).

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Eine dreiwöchige Seereise liegt vor uns. Sie führt über Brasilien und den Senegal nach Europa zurück. Jetzt lernen wir auch unsere Mitreisenden kennen. Marie, Xavier und ihre beiden Kinder Mael und Mathilde aus Frankreich kehren von einer einjährigen Südamerikareise nach Hause zurück. Elodie und Miguel, ebenfalls Franzosen, waren mit ihrer nun 5jährigen Tochter Lola zwei Jahre unterwegs. Sie sind ein Jahr lang auf dem Landweg von Frankreich aus durch ganz Afrika bis Kapstadt gefahren, dann mit dem Schiff nach Südamerika, wo sie ein weiteres Jahr gereist sind – und das mit einem ganz normalen 20 Jahre alten Wohnmobil. Chapeau! Vor einem Jahr hätten wir uns noch nicht vorstellen können, dass jemand eine solche Reise wagt; inzwischen haben wir gelernt: nichts ist unmöglich – auch ohne Toyota. Dann sind da noch Georges aus Luxemburg und seine deutsche Frau Connie. Mit den Beiden können wir Deutsch reden, während die Unterhaltung mit den Franzosen etwas schwieriger ist. Sie waren mit ihrem Land Rover ebenfalls ein Jahr in Nord- und Südamerika unterwegs, wollen aber noch ein weiteres Jahr durch Afrika reisen. Connie berichtet in einer Luxemburger Zeitung 14täglich von ihrer Reise und trägt sich mit dem Gedanken, das Ganze als Buch zu veröffentlichen.

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Natürlich gibt es unter Weltreisenden viel zu erzählen. Geschichten und Anekdoten machen die Runde, Erfahrungen werden ausgetauscht und schon mal vorsorglich neue Reisepläne geschmiedet. Und mancher Abend vergeht beim Wein und den vielen Fotos und Filmen, die alle auf ihren Computern gespeichert haben und als slideshow zum Besten geben. „Da waren wir auch …, bei uns hat es aber geschneit …, an dem Strand sind wir mit dem Auto stecken geblieben – na ja, ohne Allrad …, was, 18 Platte hattet ihr?“ Es ist schön, seine Reise auf diese Weise noch mal zu erleben und seine Eindrücke mit anderen zu teilen.

Erster Halt ist in Paranagua/Brasilien. Schwergut wird ausgeladen und Autos rollen über die Verladerampe – aus dem Schiff und in das Schiff. Wir gehen mit Connie und Georges an Land. Paranagua hat zwar einen bedeutenden Hafen, ist selbst aber eine eher unscheinbare Kleinstadt. So beschränken wir uns auf einen Gang durch die Altstadt, einen Drink in einer Bar und fahren mit dem Taxi zurück zum Hafen.

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Schon einen Tag später sind wir in Santos, dem Hafen von Sao Paulo/Brasilien. Wir würden gern an Land gehen, um das WM-Spiel zu sehen, dem alle entgegengefiebert haben: Deutschland gegen Argentinien. Doch daraus wird nichts, denn die Grande Brasile legt schon mittags wieder ab. Ich nutze die Gelegenheit, um vom Deck aus ein paar maritime Impressionen mit der Kamera einzufangen und mir die Verladearbeiten anzuschauen. Santos ist ein wichtiger Umschlagplatz für Fahrzeuge. Erst verschwinden Unmengen von Pkws im Bauch des Schiffes, später folgen noch viele Bagger und andere Baumaschinen nach. Wo die alle unterkommen bleibt mir völlig schleierhaft.

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Abends erfahren wir dann das Ergebnis des Fußballspiels per E-Mail. Deutschland hat 4:0 gegen Argentinien gewonnen und die Fähnchen, die seit dem Frühstück auf dem Esstisch stehen, müssen schnell umdekoriert werden. Unsere Freude ist dennoch etwas verhalten – wir hätten das Spiel so gern gesehen.

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Noch in der Nacht legt die Grande Brasile im Hafen von Rio de Janeiro an. Wir sind aufgeregt, denn noch ist unsicher, wie lange sie hier liegen wird. Werden wir an Land gehen können? Große Erleichterung, als der Kapitän verkündet, dass die Verladearbeiten bis zum Nachmittag dauern. Und so machen wir uns nach dem Frühstück zusammen mit Elodie, Miguel und der kleinen Lola auf den Weg in die Stadt. Zwischen hoch aufgetürmten Containerstapeln, kreuz und quer herumkurvenden Verladefahrzeugen und schweren LKWs müssen wir uns einen Weg zum Ausgang des Terminals suchen. Keine Gangway und kein Touristenführer weisen uns den Weg und wieder wird deutlich: wir fahren auf einem Frachtschiff! Endlich am Ausgang angekommen, können wir nicht passieren. Die Besatzungsliste liegt noch nicht vor und ohne die kommt kein Besatzungsmitglied aus dem Terminal hinaus oder wieder hinein. Da helfen auch unsere Bordausweise nicht. Also zurück zum Schiff, den Sicherheitsingenieur beknien und wieder zum Tor, das sich jetzt endlich für uns öffnet. Bis zum eigentlichen Hafenausgang sind es aber noch Kilometer. Nach längerem Fußmarsch erwischen wir einen klapprigen Shuttlebus, der die Hafenarbeiter zu ihrer Schicht fährt. Er nimmt uns mit, noch eine Ausweiskontrolle und wir sind in der Stadt – zumindest in einem Randbezirk. Ein Taxi bringt uns dann in einer dreiviertelstündigen Fahrt durch die ganze Stadt an unser Ziel, und das ist? – natürlich: das Wahrzeichen von Rio, der Zuckerhut!

Mit einer Seilbahn fahren wir auf den Gipfel des markanten Felskegels und werden mit einer atemberaubenden Rundum-Aussicht belohnt. Nach vorn das tiefblaue Meer mit traumhaften Stränden und der Copacabana, davor viele kleine Inseln und nach hinten – um eine malerische Bucht und zwischen grünen Hügeln gelegen – die Stadt. Und über allem thront auf einem 710 m hohen Felsen die 38 m hohe Christusstatue, das zweite Wahrzeichen Rios. Wer hier einmal gestanden hat, versteht die Faszination, die von dieser Metropole ausgeht.

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Leider haben wir nur einen halben Tag Zeit für Rio, denn um 16 Uhr soll die Grande Brasile wieder ablegen. Pünktlich besteigen wir das Schiff über die Verladerampe und schauen von Deck aus zu, wie es den Hafen verlässt. Noch einmal ziehen die Stadt, der Zuckerhut und die Christusstatue an uns vorüber, bis sie irgendwann langsam hinter dem Horizont versinken. Die eigentliche Seereise beginnt erst jetzt. Eine Woche werden wir brauchen, um den Atlantik zu überqueren und Afrika zu erreichen. Dakar, die Hauptstadt des Senegal, ist unser nächster Anlaufhafen.

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Während der 7 Tage auf hoher See haben wir Muße zu schreiben, zu lesen und uns auf dem Sonnendeck in den Liegestühlen zu räkeln. Oder einfach in das Wasser zu schauen, das von der Schiffsschraube aufgewirbelt wird und einen schaumig weißen Streifen am Heck hinterlässt, der einzige Hinweis darauf, dass das Schiff selbst in dieser endlosen Wasserwüste mitunter seinen Kurs etwas ändert.

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Es ist warm geworden, denn wir nähern uns langsam dem Äquator – zum zweiten Mal auf unserer Reise, diesmal auf dem Wasserwege. Der kleine Swimmingpool ist inzwischen auch gefüllt und bietet in der Mittagshitze willkommene Abkühlung. Auch für eine andere Art der Erfrischung ist jetzt die Zeit gekommen. Der Kapitän schließt das Lager auf und wir können uns an den Biervorräten bedienen. Solange wir in Küstennähe schipperten, war der sehr günstige, zollfreie Alkohol tabu. Jetzt in den internationalen Gewässern dürfen wir, was mancher mit einem Seufzer der Erleichterung quittiert. Für die kleine Abschiedsfeier mit Connie und Georges holen wir aber die Flasche Sekt aus dem Schrank, die wir für besondere Anlässe aufgehoben haben. Die beiden werden in Dakar von Bord gehen und in ihr nächstes Abenteuer starten: eine einjährige Reise durch den gesamten afrikanischen Kontinent. Von Dakar bis hinab nach Kapstadt und an der Ostseite wieder nach Norden bis in ihre Heimat Luxemburg. Die Vorstellung, in der Regenzeit durch Zentralafrika zu reisen löst bei uns ungute Gefühle aus. Andererseits wird uns wehmütig zumute bei dem Gedanken, dass unsere Reise gerade zu Ende geht während die beiden noch ein ganzes Jahr vor sich haben.

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Während der Atlantiküberquerung müssen wir immer wieder die Uhr um eine Stunde vorstellen – Jetlag auf Raten sozusagen. Ansonsten passiert nichts an Bord – fast nichts! Denn als wir den Äquator überqueren steht an der Mitteilungstafel: Barbecue tonight. Mehrere große Grills werden aufgebaut, auf denen schon am späten Nachmittag Unmengen von Fleisch, Würstchen, Langusten und Tintenfischen brutzeln. Dazu gibt es Salate und Nachtisch. Die gesamte Mannschaft inklusive des Kapitäns und der Offiziere sind dabei – mit Ausnahme natürlich der Dienst habenden Wache, die dafür sorgt, dass das Schiff sicher über den Ozean gesteuert wird. Es wird nicht nur ein äußerst opulentes Dinner, sondern auch ein feucht-fröhlicher Abend, der in einer Karaoke-Orgie gipfelte – ein Muss für die phillipinische Mannschaft bei jedem Fest. Die Frauen verdrücken sich rechtzeitig, für uns Männer aber gibt es kein Entrinnen. Wir werden in die bordeigene Karaoke-Bar „verschleppt“  und solange mit Bier versorgt, bis wir von allein anfangen zu singen. Ich gestehe es hiermit freimütig: Ich habe mich an Creedence Clearwater’sProud Mary“ vergangen.

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Die Mannschaft hat auf hoher See nicht so viel zu tun. Sie nutzt die Zeit, um das Schiff zu entrosten und neu zu streichen oder für anstehende Reparaturarbeiten. Wir nutzen die Gunst der Stunde und bitten den Chief Engineer, uns den Maschinenraum zu zeigen. Nachdem er an alle Ohrstöpsel verteilt hat, geht’s mit dem Aufzug 11 Stockwerke hinab in den Bauch des Schiffes. Was wir hier zu sehen und zu hören bekommen, übertrifft in jeder Hinsicht unsere Vorstellung. Man weiß nicht, was schlimmer ist, der dröhnende Lärm oder die Hitze. Um die 50 Grad herrschen im Umkreis der Maschine, die etwa die Größe eines Zweifamilienhauses hat und sich über drei Stockwerke erstreckt. Ihre technischen Daten sind beeindruckend. Der Schiffsmotor ist ungefähr so stark wie 200 Mittelklasse-Autos und der Hubraum entspricht dem von zweitausend PKW-Motoren. Für technisch Interessierte hier die nüchternen Zahlen:

  • – 7 Zylinder-Turbodiesel (1 Auslass- und 2 Einlassventile pro Zylinder)
  • – Zylinderdurchmesser: 0,62 m,  Hub: 2,2 m
  • – Hubraum: 4 650 Liter
  • – Leistung: 22 000 PS
  • – Drehzahl: 60 – 120 U/min
  • – Drehmoment: 140 000 Nm (zum Vergleich: unser Auto hat 400 Nm)
  • – Kraftstoffverbrauch (Schweröl): 2,6 Tonnen/Stunde
  • – Inhalt des Kraftstofftanks: über 3 000 Tonnen Schweröl

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Es ist heiß und schwül, als wir in Dakar ankommen und die Stadt liegt in tropischem Dunst. Das erste was wir zu sehen bekommen ist die Ile de Goree. Die Insel diente in den dunklen Zeiten des Sklavenhandels als Internierungslager für verschleppte Afrikaner, die hier auf ihre Verschiffung in die Neue Welt warteten, um dort als Sklaven verkauft zu werden. Bei dieser Vorstellung läuft es uns trotz der Hitze kalt über den Rücken.

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Im Hafen angekommen müssen wir uns endgültig von Georges und Connie verabschieden. Vielleicht sehen wir uns ja mal in Luxemburg oder Bremen wieder. Dann machen wir uns mit Elodie, Miguel und Lola auf den Weg in die Stadt. Das Zentrum liegt nahe am Hafen, sodass wir die Altstadt zu Fuß erkunden können. Dass wir uns in Afrika befinden, erkennt man sofort, nicht nur an der Hautfarbe der Menschen. Die Frauen sind oft in farbenfrohe Gewänder und Kopftücher gekleidet, auf denen sie Körbe mit Waren balancieren und viele Männer tragen lange, in muslimischen Ländern übliche Kaftans. Hin und wieder sieht man, wie sie ihre Gebetsteppiche ausrollen und auf der Straße kniend ihre Gebete verrichten. In den Basaren der Nebenstraßen herrscht buntes Treiben und wer gerade nicht beschäftigt ist, sitzt oder liegt am Straßenrand im Schatten. In diesem Klima bewegt man sich so wenig und so langsam wie möglich, was bei den Frauen oft graziös und bei den Männern lässig bis elegant aussieht.

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Den ganzen Nachmittag streifen wir durch Dakar, besuchen einige Märkte und kaufen ein paar Kleinigkeiten ein. Es ist Sonntag und deshalb wenig los in der Stadt. Der geschlossene Markt hat heute zu und die Händler sind nicht mit letztem Einsatz bei der Sache, was den Stadtbummel für uns eher geruhsam ausfallen lässt. Dann trotten wir erschöpft zurück zum Schiff – das Abendessen und die Dusche warten. Nachts sitzen wir bei tropischer Wärme lange an Deck und schauen auf das erleuchtete Dakar, während tief unter uns die Verladefahrzeuge wie Ameisen hin und her flitzen um Ladung aus dem Schiffsbauch zu holen oder neue in ihn hineinzustopfen.

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Mit dem Ablegen der Grande Brasil im Hafen von Dakar ist die letzte Etappe unserer Schiffsreise angebrochen. Wie wir vom Kapitän erfahren, können wir schon in Emden von Bord gehen anstatt, wie ursprünglich vorgesehen, in Hamburg. Eine Woche werden wir dafür etwa brauchen – Zeit genug, um sich langsam an den Gedanken zu gewöhnen, dass wir  unser Häuschen bald wieder gegen die heimische Wohnung eintauschen müssen und der Alltag in Bremen uns früher oder später einholen wird. Und in die Freude auf ein Wiedersehen mit Familie und Freunden mischt sich ein Gefühl der Traurigkeit, dass dieses für uns so einmalige Erlebnis seinem Ende entgegen geht. Als die White Cliffs of Dover auftauchen, wird es Zeit unsere Sachen zusammenzupacken. Den letzten Abend verbringen wir bei einer Rückschau mit unseren Fotos und als sich morgens die Laderampe der Grande Brasile in Emden öffnet und wir aus dem Schiff rollen, ist unsere Panamericana-Reise Geschichte. Nur die Bilder und unsere Erinnerungen bleiben uns.

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Eine abschließende kleine Reisestatistik:

•  Reisedauer: 1 Jahr und 19 Tage

•  Bereiste Länder: 17 – Alaska (USA), Kanada, USA, Mexiko, Guatemala,

Honduras, Nicaragua, Costa Rica, Panama, Kolumbien, Ecuador,

Peru, Bolivien, Chile, Argentinien, Brasilien, Uruguay

•  Grenzübergänge: 32

•  Hochseeverschiffungen: 4

•  Gefahrene Gesamtstrecke: 61.800 km

•  Schotter- und Sandpisten: ca. 10.000 km

•  Höchster gefahrener Pass: 4.780 m (Anden)

•  Verbrauchter Diesel: 6.445 Liter

•  Durchschnittsverbrauch: 10,26 Liter/100 km

•  Übernachtungen: Camping (75 % frei,  25 % Campingplätze meist in Nationalparks),

17 Tage bei Freunden, 1 Woche im Hotel (Kolumbien), 3 Wochen auf dem Schiff

•  Arztbesuche: 4 – Mexiko, Kolumbien, Argentinien, Brasilien

•  Werkstattbesuche: 4 – Mexiko, Argentinien

•  Verschleißteile am Fahrzeug: 8 Reifen, 1 Satz Bremsbeläge, 2 Ölfilter,

3 Dieselfilter, 3 Luftfilter

•  Schäden am Fahrzeug: 1 elektrische Trittstufe, 1 Rückscheibe, 1 Frischwasserpumpe,

1 Rücklicht, 1 Motorabdeckung, 1 Heizgebläseschalter, 1 platter Reifen,

1 Abwasserventil, 1 Badtür,  Störung in der Bremselektronik

• Sicherheitsprobleme: Keine – nicht mal ein Taschendiebstahl!


3. August 2010

44 Buenos Aires

Filed under: 44 Buenos Aires — vokobremen @ 23:12

Barbara:

19.6. – 27.6. 2010: Die „guten Winde“ haben unsere Fähre flott über den Rio Grande nach Buenos Aires gebracht und unser Häuschen geht auch schnell durch den Zoll, denn als ich dem Beamten erkläre, dass wir durch die wiederholten Einreisen nach Argentinien „im System“ sind, geht ein zufriedenes Lächeln über sein müdes Gesicht. Er muss nur noch anklicken, ausdrucken, Datum, Unterschrift und Stempel darunter setzen – fertig! Wir sind kurz vor Mitternacht in der Hauptstadt, zahlen einen stolzen Preis für den bewachten Parkplatz neben dem Fähranleger und übernachten dort. Für einen Erkundungsgang fühlen wir uns zu müde und noch zu orientierungslos. So begnügen wir uns mit den Blicken auf den nächtlichen Hafen und die Lichter der pulsierenden Stadt und einem guten Tropfen aus unserem Weinkeller.

Von anderen Reisenden haben wir den Tipp bekommen, dass man auf dem Gelände des Club Aleman im Stadtteil Burzaco gut stehen kann. Wir kaufen eine Straßenkarte von Groß-Buenos Aires, füttern unser Hand-GPS- Gerät mit den Koordinaten und machen uns auf den Weg, durch breite Stadtalleen, Stadtautobahnen und deprimierende Vorstadtviertel – fast 50 km. Nach zweimaligem Fragen sind wir auf dem riesigen Sportgelände des Deutschen Clubs. Viele andere Weltenbummler haben ihre beeindruckenden Reise-Vehikel für längere Zeit dort abgestellt. Das Gelände ist bewacht – Tag und Nacht, hat eine freundliche Sekretärin, einen Hausmeister und heiße Duschen.

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Aber was sollen wir hier draußen? Buenos Aires – das heißt, wir wollen bummeln, Essen gehen, in schönen Cafes die Zeit verschwenden, die alte Pracht genießen, Tango hören und sehen … Das alles ist sehr weit weg von Burzaco. Dafür müssen wir eine Lösung finden.

Wären Ingo und Birte nicht als einzige Camper auf dem Platz gewesen, wäre ich wahrscheinlich erst mal trübsinnig geworden. Aber nach einer herzlichen Begrüßung kochen sie für uns mit. Seit Foz do Iguazu haben wir uns nicht mehr gesehen. Es gibt so viel zu erzählen. Sie müssen jedoch ihr Auto für die Verschiffung packen – die zweieinhalbjährige Reise ist zu Ende und morgen muss es am Hafen abgegeben werden. Es wird mit demselben Schiff fahren wie wir. Sie selbst nehmen in wenigen Tagen den Flieger. Wir fahren in einen großen Supermarkt zum Einkaufen. Fast 20 km hin und zurück durch diese armselige Gegend. Die Behausungen sind ärmlich und heruntergekommen. Die Straßenränder liegen voller Müll, der zum Teil in kleinen Feuern rauchend und stinkend vor sich hin brennt. Daneben qualmen die Straßengrills mit dem Fleisch für die schnelle Mahlzeit zwischendurch.

„Unser“ Sportgelände mit großem Schwimmbad ist wie ein Refugium. Am Abend laden wir Ingo und Birte zu „Häppchen und Wein“ ein und nehmen zusammen Abschied vom Camperleben. Ein schöner Abend, der viel zu schnell vergeht.

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Morgens fahren wir mit den beiden zum Hafen. Ihr Pickup Camper bleibt da und wir nehmen zusammen ein Taxi zu ihrem Hotel: Ein charmantes altes Gebäude im Herzen der Stadt. Das Hotel Espana hat einen antiken Fahrstuhl wie man ihn aus dem Kino kennt, ruhige, angenehme Zimmer und ist dazu noch sehr günstig: 110 Pesos (22 €) das Doppelzimmer. Es gefällt uns sofort und wir buchen ein Zimmer für die nächsten Tage. Wir werden unser Häuschen erst mal draußen im Deutschen Club stehen lassen.

Zu viert gehen wir auf Erkundungstour, durch schmale Straßen und breite Alleen mit prächtigen Gebäuden, meist aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. In welches der schönen, gut besuchten Cafes soll man zuerst gehen? Wir fangen mit einem cafe cortado (Kaffee mit geschäumter Milch) im Cafe Iberia in der Avenida de Mayo an. Es wird in den nächsten Tagen Volkers und mein Stammcafe. In den 30er Jahren war es ein Treffpunkt spanischer Emigranten, die von hier aus die Republikaner in Spanien unterstützten. Auch Federico G. Lorca ging hier ein und aus, wenn er in Buenos Aires weilte. Der auch in Argentinien sehr berühmte Dichter wurde zu Beginn des Bürgerkriegs in Andalusien von Francos Schergen ermordet.

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Gestärkt machen wir uns auf nach San Telmo, diesem historischen Stadtteil mit seinen Kolonialbauten, engen Gassen, schönen Plätzen, Restaurants, Cafes und Antiquitätenläden. Da Feiertag ist, hoffen wir, dass der berühmte Trödelmarkt auf der Plaza Dorrego stattfindet. Aber leider gibt es nur wenige Stände mit Altem und Neuem und Verkäufern, die gelassen ihren Mate schlürfen. Auch das Freiluft-Tango-Leben hält sich in Grenzen, da es zwar sonnig, aber recht kühl ist. Trotzdem macht der lange Bummel durch San Telmo großen Spaß. Unsere Einkäufe sind bescheiden – zwei silberne Mate-Tee-Röhrchen und ein Paar alte blaugrüne Strass-Ohrringe, über die ich mich riesig freue. Zum Glück bleiben wir von dem üblen Taschendiebtrick verschont, der im Augenblick in San Telmo und in La Boca Hochkonjunktur hat: Der Tourist wird mit einer übel riechenden Flüssigkeit bespritzt, jemand eilt helfend und wischend hinzu und in der augenblicklichen Konfusion verschwinden Kamera und andere erreichbare Wertsachen.

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Wir fahren noch ein Stück mit der „Subte“, der U-Bahn, die sauber, sicher und günstig ist und trennen uns für heute von Ingo und Birte. Wir beide besuchen noch einige Cafes, essen ein Steak zu Abend – was sonst? – und merken, dass uns diese Stadt zwar begeistert, aber auch müde macht. Das Hotel, in dem man sich zwischendurch auch mal ausruhen könnte, haben wir ja erst ab morgen; heute müssen wir noch nach Burzaco zurück. Der Deutsche Club vermittelt einen Fahrer, Ernesto, der Gäste für einen zivilen Preis sicher und zuverlässig hin oder zurück fährt. Dankbar fallen wir in sein Auto und lassen uns durch das nächtliche Buenos Aires fahren. Ernesto ist ein freundlicher Mann und ein souveräner, ruhiger Fahrer. Aber je weiter wir uns aus dem Zentrum entfernen, desto weniger Bedeutung scheinen rote Ampeln zu haben. Ich frage ihn danach. In der Nacht hält hier niemand, klärt er uns auf – zu gefährlich! Nicht, dass andauernd Bösewichte mit Waffen herumstünden – aber: „nunca se sabe“ (man kann nie wissen). Naja, das ist ja beruhigend.

Da wir unser Häuschen stehen lassen wollen, vereinbaren wir für den nächsten Tag eine Fahrt in die Stadt. Ja, natürlich! – aber auf gar keinen Fall zwischen 13:30 und 17:30, denn Argentinien spielt am Nachmittag in der WM gegen Griechenland. Und in dieser Zeit geht gar nichts. Er lacht herzlich. Dafür haben wir vollstes Verständnis und wollen ja sowieso am Vormittag fahren.

Bevor er uns am nächsten Morgen im Zentrum absetzt, wünschen wir ihm noch viel Glück für das Spiel. Ein breites Grinsen geht über sein Gesicht und der rechte Daumen nach oben. Die Stadt ist im Fußballfieber. Straßen und Häuser sind in den Nationalfarben geschmückt, an den Autos flattern Fähnchen, die Portenos (Bewohner von Buenos Aires) tragen blau-weiße T-Shirts, Hüte und Schals. Viele Betriebe, Geschäfte und Institutionen schließen ab Mittag.

Unser erster Weg führt uns zu einem Broker, denn da ist ja noch die Verschiffung! Wir haben uns bei einer Agentur angemeldet, die uns empfohlen wurde. Ob das wirklich nötig war, wissen wir bis heute nicht. Jedenfalls haben wir so sehr wenig mit dem ganzen Papierkram zu tun, nur mit den Telefonaten der freundlichen, aber manchmal etwas theatralischen Sekretärin, Dona Rosa.

Wann unsere Grande Brasile nun genau kommen und mit uns an Bord wieder abfahren wird, ist noch immer unklar. Vielleicht am Fr. 25.6., vielleicht aber auch erst Samstag, oder Sonntag, oder Montag …? Es ist uns eigentlich egal und ich bin für jeden Tag dankbar, den wir länger hier bleiben können. Dona Rosa fertigt einen dicken Stapel Kopien unserer gesammelten Papiere an, verwöhnt uns mit Kaffee und Keksen, will wissen ob die Deutschen auch so fußballverrückt seien. Argentinien werde gleich still liegen, sie aber arbeite selbstverständlich weiter.

Wir beziehen unser Hotelzimmer und machen uns gleich auf die Suche nach einem Cafe zum Fußball gucken. „Unser“ Iberia ist schon voll. Auf der anderen Straßenseite finden wir gerade noch zwei Plätze im WM-mäßig geschmückten Cafe Alameda mit mehreren Bildschirmen. Diego Maradona, der augenblickliche Held der Nation, gibt noch ein paar „analytische“ Sätze von sich, es knistert vor Spannung, das Spiel beginnt. Bei einer Flasche Wein und einer Kleinigkeit zu essen erleben wir den Jubel über den 2:1-Sieg mit. Immer wieder sagen uns Leute enthusiastisch, dass sie sich das Endspiel Argentinien gegen Deutschland wünschen. Der deutsche Fußball genießt große Achtung. Anerkennend gehen die Daumen hoch, wenn wir uns als Deutsche zu erkennen geben. In unserem Lieblingscafe dekorieren uns die Kellner ein paar Tage später das Frühstück mit einem argentinischen und einem deutschen Fähnchen. Was, wenn man das Ergebnis (Deutschland gewinnt 4:0 gegen Argentinien) da schon gewusst hätte?

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Buenos Aires heißt natürlich auch Tango. Erst versuchen wir uns im Dschungel des Show-Angebots zurecht zu finden, überlassen dann aber unsere Auswahl mehr oder weniger dem Zufall. Zuerst gehen wir in ein angenehmes Restaurant mit Tango-Darbietungen: Zwei junge Gitarristen, ein Sänger und gleichzeitig Conferencier, ein Tanzpaar. Wir hören viele Klassiker, einiges vom legendären Carlos Gardel, der vor kurzem seinen 75-jährigen Todestag hatte. Es geht um unerfüllte Liebe, bitter-süße Erinnerungen, Täuschungen und Enttäuschungen: „…y todo es mentira, y nada es verdad…“ (…und alles ist Lüge, und nichts ist Wahrheit…), und am Ende gibt es niemanden, der dir hilft und keine Liebe ist dir geblieben … Anders das Tanzpaar, das sich stilecht gekleidet erotisch-lasziv zu den Tangorhythmen der Gitarren bewegt, um dann plötzlich ein akrobatisches Feuerwerk für die Sinne zu entfachen.

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Lange nach Mitternacht ist die Show zu Ende. Ich unterhalte mich noch ein wenig mit anderen Gästen des Restaurants, die aus dem Süden Argentiniens kommen. Sie erzählen uns, dass dort im Moment sehr viel Schnee liegt und die Skisaison begonnen hat. Schon jetzt kommt in uns eine leichte Sehnsucht nach der Schönheit und Weite der Landschaft Patagoniens und Feuerlands auf. Wir genießen es, durch die frische Nacht zu Fuß in unser Hotel zu gehen.

Der Tango lässt uns auch an den folgenden Tagen nicht los. Einen Abend lauschen wir einem alten Bandoneonspieler, der in einer hübschen Bar einsam seine Melodien spielt. Als Highlight aber haben wir uns „die Mutter aller Tanzhallen“ (laut Reiseführer) aufgehoben, die Confiteria Ideal, ganz in unserer Nähe. In diesem wunderschönen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert finden häufig Milongas statt – Tanzveranstaltungen, manchmal mit Live-Musik, für alle, die gerne Tango tanzen. Aber auch Shows mit oder ohne Abendessen stehen auf dem Programm. Bei unserem Besuch handelt es sich um ein Encuentro de Tango. Wir wissen noch nicht genau, was wir darunter zu verstehen haben, bleiben aber trotzdem. Bald wird es klar: Es gibt eine Vielzahl von Tangosängern – junge, alte, Männer, Frauen, die mit ihren Familien und Freunden die langen Tischreihen besetzen. Die sehr unterschiedlichen Gesangsdarbietungen werden von einem Tanzpaar unterbrochen. Eine ältere blonde Dame führt durch die Veranstaltung. Sie kommt an unser Katzentischchen, fragt, woher wir kommen und sagt uns, dass dies ein Abend von Argentiniern für Argentinier sei und dass wir dieses Geschenk genießen sollen. Dann fordert sie einen Applaus für „nuestros amigos alemanes“ (unsere deutschen Freunde). Die einzelnen Auftritte haben unterschiedliche Qualität. Uns beiden gefallen besonders gut ein junger Lockenkopf und einige der Frauen, die den Schmerz des Lebens und der Liebe dann doch mit einem Augenzwinkern präsentieren.

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Als wir schon recht spät aufbrechen, ist noch kein Ende abzusehen. Auf dem Heimweg treffen wir in den engen Gassen immer wieder auf Menschen, meist jüngere Männer, die die großen schwarzen Mülltüten öffnen, neu sortieren und alles, was irgendwie brauchbar oder essbar ist, herausholen – die andere Seite des Glamour.

Ein heftiger Kontrast zu diesen nächtlichen Szenen sind die schicken Fußgängerzonen mit ihren eleganten Einkaufspalästen. Besonders faszinierend ist das Gebäude der Galerias Pacifico aus dem frühen 20. Jahrhundert mit seinen großen Wandgemälden. Volker probiert zwar ein paar Jacketts an und mein Blick fällt auf kuschelige Cashemir Pullover, aber so recht können wir uns doch nicht zum Kauf entschließen.

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Im Zentrum der Stadt liegt die Plaza de Mayo mit dem Regierungssitz, der so genannten Casa Rosada (Rosa Haus), denn das würdige Gebäude leuchtet in schrillem Pink. Hierher kommen immer noch jeden Donnerstag um 15:30 die Mütter und Großmütter der „desparecidos“, der „Verschwundenen“ aus der Zeit der Militärdiktatur der 1970er Jahre. Die Frauen erinnern in ihrem wöchentlichen Schweigemarsch mit den Fotos ihrer Lieben daran, wie viele Verbrechen aus der Zeit der „guerra sucia“ (des „schmutzigen Krieges“), noch immer unaufgeklärt und ungesühnt sind. Vor einigen Wochen erzählte uns ein junger sympathischer Anwalt aus Buenos Aires, den wir in einem Nationalpark kennen gelernt hatten, dass der Mantel der Amnestie nicht mehr über die Zeit der Diktatur gedeckt werde, dass  immer wieder Verbrechen von damals aufgeklärt und die Täter bestraft würden. Auch Kinder von Oppositionellen verschleppten die Militärs in großer Zahl. Immer wieder würden einige der mittlerweile längst Erwachsenen aufgespürt und mit ihren Familien vereint. Er gab diesem grausamen Kapitel argentinischer Geschichte eine optimistische Wende: Seiner Meinung nach ist das demokratische Bewusstsein nach all den Jahren bei den Menschen so stark verankert, dass eine Militärdiktatur in seinem Land nie wieder eine Chance haben würde. Eine Hoffnung, die wir nur zu gut kennen!

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Unseren letzten Nachmittag – morgen, am Sonntag, sollen wir nun tatsächlich auf unser Schiff – widmen wir dem Friedhof in Recoleta. Da Wochenende ist, können wir auf dem großen Platz vor dem Friedhof noch an Kunsthandwerksständen vorbeischlendern und Straßenkünstlern zuschauen.

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Der Friedhof selbst ist ein Spiegel des Glanzes von Buenos Aires, das nach dem Börsenkrach von 1929 seinen Niedergang hatte. Die Mausoleen der bedeutenden Persönlichkeiten der Stadt und des Landes sind in unterschiedlichsten Stilrichtungen erbaut, meistens aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, manche protzig, manche sehr gepflegt, andere vernachlässigt und dem langsamen Verfall überlassen. Die Anlage ist groß – „eine Stadt in der Stadt“ wird sie in den Reiseführern genannt. Sie hat eine Schutzmauer, eine Kirche, Straßen, und Plätze. Wir schlendern langsam durch die Gassen. Manchmal gibt eine Jugendstil-Glastür den Blick in das Innere eines Mausoleums frei, manchmal beugt sich ein überdimensionaler Marmorengel zu uns herunter.

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Nicht zu verfehlen ist die Grabstätte von Evita Peron, die im Mausoleum der Familie Duarte ruht. Denn noch immer ist sie Legende und die Menschen pilgern zu ihrem Grab und bringen frische Blumen. Friedhofgemäß wird der strahlende Himmel trübe und es beginnt zu nieseln. Im gediegenen Cafe Victoria wenden wir uns bei Milchkaffee und Erdbeerküchlein wieder dem Leben zu. Volker schaut ein WM-Spiel, ich schreibe meine Eindrücke auf.

An unserem letzten Abend essen wir sehr, sehr gut in dem offensichtlich beliebten Restaurant Asturias in „unserem“ Viertel. Anschließend verprassen wir unsere letzten argentinischen Pesos im Gran Cafe Tortoni, während ein Jazz-Konzert dort gerade seinem Ende entgegengeht. Das Cafe ist von 1850 mit entsprechendem Interieur und wunderschönen Decken- und Türverglasungen. Viele bekannte Persönlichkeiten haben dieses Juwel von Cafe schon besucht, unter anderem Hillary Clinton und Vargas Llosa. Es ist ein würdiger Abschluss unseres Aufenthaltes in Buenos Aires.

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Wir müssen nur noch um die Ecke in unser Hotel und haben eine ziemlich kurze Nacht vor uns, unsere vorläufig letzte an Land, denn morgen früh soll unsere langsame Heimreise nun wirklich beginnen. Unser Häuschen haben wir mittlerweile reisefertig gepackt auf den Parkplatz am Hafen gebracht und können mit ihm zusammen aufs Schiff fahren. Fast 12 Monate Landreise sind damit zu Ende. Diese Tatsache löst bei mir eine merkwürdige Mischung der Gefühle aus. Wie konnte die Zeit so schnell vergehen? War das vielleicht alles nur ein Traum…?

24. Juli 2010

43 Uruguay

Filed under: 43 Uruguay — vokobremen @ 22:31

7.6. – 19.6.2010  Die Einreise nach Uruguay ist wie gewohnt einfach – zu einfach! Der brasilianische Militärposten winkt uns durch. Barbara interveniert: „Aber wir müssen doch …“ Nein, nein, wir sollen nur durchfahren. An der uruguayischen Grenzstation ist man anderer Ansicht. Wir müssten schon erst in Brasilien ausreisen, bevor wir in Uruguay einreisen können. Also wieder zurück zum brasilianischen Zoll, Einfuhrgenehmigung für das Auto abgeben, Stempel in den Pass und rein nach Uruguay.

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Der Grenzort ist ein Kuriosum. Er gehört zur Hälfte zu Brasilien und heißt dort Chui, zur anderen Hälfte zu Uruguay, wo er sich Chuy schreibt. Die Grenze verläuft entlang des Grünstreifens der Hauptstraße und steht nur auf dem Papier. Trotzdem sind alle Beschriftungen auf brasilianischer Seite auf Portugiesisch und auf der Seite Uruguays auf Spanisch. Dass man gut zusammen lebt ist schon daran zu erkennen, dass die Straße auf brasilianischer Seite Avenida Uruguay und auf der Seite Uruguays Avenida Brasil heißt. Die ganze Stadt ist Freihandelszone und lebt hauptsächlich vom Geschäft mit zollfreien Waren. Die Hauptstraße ist ein einziger Duty Free Shop, wo mit brasilianischen Reais, uruguayischen Pesos, US-Dollars und Euros bezahlt werden kann. Es gibt alles, vom Schweizer Taschenmesser bis zum Armani-Parfum. Morgen werden wir Schoppen gehen.

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Heute ziehen wir uns erst mal an den 10 km entfernten Strand in Uruguay zurück, gehen spazieren und lassen uns von der frischen Seeluft durchpusten. Nachts um vier weckt mich Barbara: „Das Wasser kommt!“ Und tatsächlich: Im Licht unseres Handscheinwerfers sehe ich die Wellen bis fast ans Auto spülen. Nichts wie rein in die Hosen, hinters Steuer und weg vom Strand. Einige km weiter finden wir in einer stockdunklen Seitenstraße ein ruhiges Plätzchen, wo wir den Rest der Nacht verbringen können.

Großes Erstaunen am nächsten Morgen: Wir stehen in sicherer Höhe über dem Meer mit bester Aussicht auf eine Flussmündung, den Strand und einen Leuchtturm – Glück gehabt! An einem Schild in portugiesischer Sprache erkennen wir, dass wir nachts unbemerkt wieder nach Brasilien eingereist sind. Aber das ist hier ohnehin egal. Jetzt wollen wir erst mal nach Chui/Chuy zum Einkaufen.

In einem schicken Kosmetikladen rüstet sich Barbara noch mal für die Heimreise aus, wir erstehen für unser Häuschen einige nützliche Utensilien und kaufen in einem Feinkostladen Wein und diverse Leckereien ein. Vor allem guten Käse, der aus der Schweizer Kolonie in Uruguay kommt. Der Fleischer in einem Supermarkt löst uns ein ganzes Filet aus einem frisch geschlachteten Rind aus, für dessen 1 1/2 kg wir bescheidene 10 Euro bezahlen. So ausgestattet können wir uns wieder an einsame Strände zurückziehen. Dafür haben wir mehr Zeit als erwartet, denn in einer Mail von Seabridge erfahren wir, dass unser Schiff nach Hamburg 5 Tage später geht. Die unverhofft gewonnene Reisezeit investieren wir als erstes in einen ausgiebigen Kaffeehausbesuch – guten Kaffee gibt es in Uruguay nämlich auch.

Dann fahren wir zurück zu unserem Nachtplatz am Leuchtturm. Während ich eine Flasche argentinischen Cabernet Sauvignon aus Mendoza entkorke und das butterweiche Filet in der Pfanne brutzelt, nehmen die Schaumkronen der Südatlantikwellen allmählich die Farbe der untergehenden Sonne an und schieben sich als rosarote Wattestreifen auf den dunkelbraunen Sand. Das Camperleben ist mitunter nicht das schlechteste.

50 km südlich von Chuy liegt die Laguna Negra. Eine 7 km lange löchrige Sandpiste führt bis an den großen See und endet dort. Wir brauchen keine Sekunde zu überlegen; hier bleiben wir. Hinter uns schützt ein Waldrand vor dem Wind, vor uns hat man freien Blick über die Lagune und von dem Rinderfilet ist auch noch ein knappes Kilo da – der Abend ist gerettet.

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Das Frühstück will nicht enden, nicht nur wegen des gut gefüllten Kühlschranks. Trotz der Wintermonate ist es warm genug für offene Türen und Fenster. Wir sind allein hier, lauschen in die Stille und haben das Gefühl, all dies sei nur für uns da. Nur ein paar Vögel teilen die Natur mit uns und wir im Gegenzug die Krümel auf dem Teller mit ihnen. Erst am Mittag raffen wir uns auf und fahren in den nahen Nationalpark St. Teresa am Meer. In dichtem Wald mit ausgefallener Flora verstecken sich mehrere Campingplätze und im Sommer tummeln sich an den Sandstränden tausende von Touristen, vornehmlich aus Brasilien und Argentinien. Jetzt ist es still hier. Ein einziges Auto steht auf einer kleinen Lichtung im Wald, ein alter Mercedes-Truck-Camper mit einer Familie aus Deutschland. Natürlich schwatzen wir ausgiebig mit unseren Landsleuten, doch dann ist klar: wir wollen zurück an „unsere“ Lagune, die Stille und die freie Sicht genießen, auf einem Felsvorsprung am Wasser sitzen, den Vögeln auf den grasbewachsenen Inselchen zuschauen und warten, bis der rote Sonnenball hinter dem Horizont verschwunden ist und uns die Dämmerung in unser Häuschen schickt.

Es wird wieder Zeit, einzukaufen und zu tanken. Also fahren wir am nächsten Mittag weiter. Aber nur bis ins 100 km entfernte La Paloma. Das beschauliche Seebad liegt im touristischen Winterschlaf. Auf den Straßen streunen nur ein paar Hunde herum, die Hotels haben geschlossen und die weiten Strände sind menschenleer. Nur ein nettes Cafe und der kleine Supermarkt warten auf ihre spärliche Kundschaft. Für uns ist das Angebot ausreichend zumal das Cafe über einen Fernseher verfügt, ein wesentlicher Faktor, denn die Fußballweltmeisterschaft ist in vollem Gange.

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Am Ende des Ortes finden wir unweit des Leuchtturms einen Grasplatz mit Blick aufs Meer, das Cafe und den Supermarkt quasi in Sichtweite. So lässt es sich aushalten, weshalb wir auch gleich vier Tage lang bleiben. Die verbringen wir mit langen Strandspaziergängen, Schreiben, Lesen und natürlich beim Fußball in unserem „Stammlokal“. Wir bekommen das Spiel Paraguay gegen Italien mit und – für uns ein Fußballfest – das 4:0 Deutschlands über Australien. Die Südamerikaner freuen sich mit uns, denn von der deutschen Mannschaft halten sie viel. Fast alle wünschen sich ein Endspiel gegen Alemania.

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Vom Cafe aus können wir auch unsere Internetgeschäfte erledigen. Das neue Blogkapitel wird hoch geladen und die letzten Emails bezüglich der Verschiffung von Buenos Aires nach Hamburg gehen hin und her. Barbara hat eine neue Leidenschaft entdeckt – Fossilien sammeln. Am Strand hat sie eine Frau darauf gebracht. Die verkauft ihre Fundstücke an Kunsthandwerker, welche daraus Schmuck herstellen. Die Tochter der Frau führt derweil einen Humboldtpinguin an der Leine spazieren. Sie hatten das Tier ölverklebt am Strand aufgelesen, es gereinigt und päppeln es nun wieder auf. Täglich wird der Pingu ans Wasser geführt und soll, wenn er wieder bei Kräften ist, zurück in sein Element.

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Die Abende verbringen wir im Häuschen, denn das Essen im Restaurant ist mäßig und wir haben wieder ein 1 1/2 kg schweres Rinderfilet zum Schleuderpreis erstehen können. Also schlemmen wir hemmungslos auf „unserem“ Grundstück mit Blick aufs Meer. Zu Hause in Bremen werden wir uns dergleichen kaum noch leisten können.

Es wird Zeit weiter zu fahren. Bis zu unserer Abreise nach Hamburg ist es nicht mehr lang und wir wollen noch ein paar Tage in Buenos Aires verbringen. Noch schnell einkaufen, an der Tankstelle duschen, Wasser bunkern und weiter auf der N 9 nach Westen. In Punta Jose Ignacio machen wir noch mal Halt. Der hübsche Ferienort hat wieder einen dekorativen Leuchtturm und lange Strände zu bieten, leider aber keinen geeigneten Stellplatz. Den finden wir zu unserer Überraschung dann in Punta del Este. Die Stadt ist DAS Ferienparadies für wohlhabende Argentinier und Brasilianer. An der Uferstraße reihen sich kilometerweit vielstöckige Hotel- und Apartmentanlagen aneinander, die wir ähnlich abstoßend finden wie die Bettenburgen an der spanischen Costa Brava. Dass die Stadt im derzeitigen Winter wie ausgestorben daliegt, macht sie auch nicht attraktiver. An ihrem Ende, da wo die Häuser klein und die Strände naturbelassen sind, entdecken wir eine kleine, unbebaute Halbinsel, die nur von ein paar Anglern bevölkert ist. Hier lassen wir uns nieder und können über die Bucht auf die Skyline des Zentrums schauen, das aus der Ferne ein bisschen wie Legoland aussieht und in der Abendsonne fast schon schön zu nennen ist.

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Die nächste Station ist Montevideo. In der Hauptsstadt herrscht hektischer Verkehr, denn Das WM-Spiel Uruguay gegen Südafrika wird in Kürze angepfiffen und alle wollen schnell nach Hause. An einer Tankstelle mischen wir uns unter die Belegschaft und schauen mit ihr gemeinsam das Spiel an. Uruguay gewinnt und wir machen uns beim Abpfiff davon. Noch sind die Straßen gähnend leer, was sich aber schnell ändern dürfte. Mit Hilfe der GPS-Koordinaten aus einem Reiseführer finden wir den empfohlenen Platz am Leuchtturm auf einer Landzunge ohne Problem, gerade rechtzeitig, um den Sonneuntergang über der Stadt noch zu erleben.

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Nachts kommen immer wieder mal einzelne Autos, parken für eine Weile und fahren leise wieder davon. Am Morgen erfahren wir anhand der Hinterlassenschaften warum. Der Park um den Leuchtturm ist der Arbeitsplatz der Damen vom Straßenstrich. Was soll’s? Wo die Ladies und ihre Kundschaft sich sicher fühlen, haben auch wir ungestört stehen können. In der Früh kommen die Angler. Der Platz gleicht einer Idylle und bietet uns beim Frühstück einen wunderbaren Blick auf die in der Morgensonne liegende Skyline der Stadt. Ansonsten reizt uns Montevideo nicht übermäßig. Wir wollen weiter nach Colonia del Sacramento, von wo aus wir mit der Fähre nach Buenos Aires übersetzen werden.

Unterwegs machen wir noch einen Abstecher nach Nueva Helvecia. Aus dieser schweizer Kolonie kommt der berühmte Käse, den wir in Chuy gekauft hatten. Viele Namen, verweisen auf die helvetischen Gründerväter der Stadt, an die ein Denkmal auf dem Hauptplatz erinnert und vereinzelt soll auch noch Schweizerdeutsch gesprochen werden. Viel mehr hat Nueva Helvecia nicht zu bieten. Im „schweizer“ Restaurant Don Juan essen wir Kassler mit Apfelmus und fahren anschließend auf der N 1 direkt nach Colonia. In einer Wäscherei im Zentrum geben wir unsere Wäsche ab, checken die E-Mails und suchen den einzigen noch offenen Campingplatz. Der liegt etwas außerhalb neben einem Fußballplatz am Rande eines Armenviertels – nicht gerade idyllisch, aber für heute ok. Auf dem Platz steht außer uns nur noch ein kleines Zelt. In ihm überwintert Gabriel aus Montevideo. Er ist Künstler und verdient seinen offensichtlich äußerst kärglichen Lebensunterhalt mit dem Malen von mehr oder weniger geschmackvollen Bildern, die er in der Stadt an Touristen verkauft.

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Morgens besuchen wir die historische Altstadt. Colonia del Sacramento wurde 1680 von den Portugiesen auf einer Halbinsel im Rio de la Plata gegründet und war im 18. Jhd. Basis für den Schmuggel englischer Waren in die spanischen Kolonien. Heute ist das pittoreske alte Zentrum mit seinen netten Restaurants, Cafes und Shops an den schattigen Plätzen ein beliebtes Reiseziel. In den Resten der Stadtmauer drängen sich die meist restaurierten Häuschen aus der Kolonialzeit entlang der engen, teilweise noch original gepflasterten Gassen und auf der Zugbrücke vor dem Stadttor posieren immer wieder Reisende für das unvermeidliche Erinnerungsfoto. Am Rande des Hauptplatzes steht der schlicht-weiße Leuchtturm, der mit seiner zweigeteilten Architektur – unten quadratisch, oben rund – aber etwas besonderes ist. An klaren Tagen kann man von seiner Aussichtsplattform das gegenüber liegende Buenos Aires sehen. Die Kirche Matriz – die älteste in Uruguay – ist ebenfalls in schlichtem Weiß gehalten.

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Um den Tourismus noch weiter anzukurbeln, haben sich die Geschäftsleute etwas einfallen lassen. Überall vor den Läden und Cafes stehen uralte Autos, gewissermaßen als Markenzeichen für Colonia. Die Oldtimer sind ein sehr beliebtes Fotomotiv, was beweist, dass die Idee Wirkung zeigt.

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Während unseres Streifzuges durch dir Altstadt treffen wir Gabriel wieder, dem Barbara eine Zeichnung eines Tango-Tanzpaares abkauft und damit ihre gute Tat von heute schon abhaken kann. Wir ahnen noch nicht, dass wir in Buenos Aires genau solche Szenen vorfinden werden.

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Abends gehen wir im Turmrestaurant El Torreon mit Blick auf den Rio de la Plata essen. Das Auto haben wir nebenan am Wasser geparkt und so haben wir es später nicht weit ins Bett, denn wir wollen hier übernachten.

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Den folgenden Tag verbringen wir wieder in der Altstadt bis am Abend unsere Fähre über den an dieser Stelle 50 km breiten Rio de la Plata nach Buenos Aires geht. Der Strom, der aus dem Zusammenfluss des Rio Uruguay mit dem Rio Parana entsteht, ist eigentlich eine langgezogene Bucht, die zu überqueren drei Stunden dauert, Zeit genug für eine Tangoshow an Bord, welche uns schon mal auf das pralle Leben in der Hauptstadt Argentiniens einstimmt.

21. Juli 2010

42 Brasilien: Der Süden

Filed under: 42 Brasilien — vokobremen @ 22:35

20.5. – 7.06.2010  Erst am Mittag starten wir von Foz do Iguazu in Richtung Osten. Wir wollen an die Atlantikküste Brasiliens – ein Land, das in unserer Reiseplanung eigentlich gar nicht vorgesehen war. Aber es bietet sich förmlich an, am Meer entlang durch Brasilien und Uruguay nach Buenos Aires zu fahren. Von dort werden wir unser Häuschen und uns selbst nach Hamburg verschiffen.

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Der schnellste Weg an die Küste führt über die Nationalstraße 277. Wir sind noch nicht lange unterwegs, da reiben wir uns die Augen: Die Straße ist vierspurig ausgebaut und entspricht streckenweise einer deutschen Autobahn; ihre Beschilderung ist lückenlos und auf neustem Stand. An vielen Geschwindigkeitsbeschränkungen mahnen automatische Radaranlagen, die Verkehrsgebote auch einzuhalten. Hochmoderne Tankstellen verfügen über eine Mülltrennung, an der sich unsere Tanken ein Beispiel nehmen können und werden ständig gereinigt. Ein Ort reiht sich an den anderen. Die Häuser sind adrett und es gibt keine Müllhaufen davor. Auch keine Autowracks, weder neben, noch auf der Straße. Die Brasilianer fahren neue Autos und zwar leider sehr viele. Entsprechend voll sind die Straßen. Der Verkehr hat europäische Dimensionen.

Hoppla, wo sind wir hier? Dies hat nichts mit unserer Vorstellung von einem Drittwelt- oder Schwellenland zu tun. Brasilien – zumindest der Süden – ist das am weitesten entwickelte und modernste Land Südamerikas. Und das teuerste! Das fängt bei den Dienstleistungen an und hört bei der Straßenmaut und den Treibstoffpreisen auf. Haben wir in Ecuador noch 19 Euro-Cent für den Liter Diesel bezahlt, müssen wir hier mehr als das Vierfache hinlegen. Die Weinpreise scheinen an die Spritpreise gekoppelt zu sein – leider nicht die Qualität, was mich wieder zum Bier greifen lässt.

Wir sind ernüchtert. So schnell wollten wir nicht in europäische Verhältnisse zurück. Zudem ist die Landschaft eher langweilig und nach jeweils einigen zehn km ist eine Straßenmaut fällig, die in der Summe die Dieselkosten fast übersteigt. Bis zur Küste sind es annähernd 800 km, auf denen es wegen der dichten Besiedlung praktisch keine Campmöglichkeiten gibt. Also übernachten wir zweimal an Tankstellen – nicht sehr charmant, aber einigermaßen ruhig und kostenlos. Dabei beschädigen wir uns in der Dunkelheit an vorspringenden Eisenteilen eines Trucks eine Rückfensterscheibe und ein Rücklichtglas. Es ist das erste in einer Reihe von Missgeschicken.

In Curitiba wechseln wir auf die N 116, von der wir nach 40 km auf ein winziges, teilweise gepflastertes Sträßchen mit dem viel versprechenden Namen Estrada da Graciosa abbiegen. In engen Serpentinen geht es durch dichten Regenwald nach Süden. Auch in den Reiseführern wird die Strecke als besonders schön angepriesen, wovon im Moment allerdings nicht viel zu sehen ist, denn das Wetter ist, wie man es im Regenwald erwartet: es regnet. Die Wolken hängen tief und lassen bestenfalls erahnen, welch üppige Vegetation sich hinter dem Nebel verbirgt.

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Wir verbringen die Nacht auf einem Parkplatz unter tropischen Bäumen und fahren am nächsten Tag weiter nach Morretes. Das hübsche Kolonialstädtchen lädt bei inzwischen freundlichem Wetter mit seinen bunt bemalten Häusern, teilweise im Art-Deco-Stil, zum Bummeln ein. Aus einigen Fenstern schauen tönerne schwarze Damen auf die wenig belebten Straßen und erinnern an die koloniale Vergangenheit. Es geht zurzeit sehr ruhig zu in den Straßen, aber die vielen Restaurants, Cafes und Geschäfte sind ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Tourismus in der Hauptsaison hier brummt. Nachts kommen wir auf dem Grundstück einer deutsch-spanischen Familie unter, das mitten in einem Stück Regenwald liegt.

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Wir besuchen am Morgen noch das nur 12 km entfernte Antonina, ebenfalls ein altes Kolonialstädtchen, nur nicht so herausgeputzt und nicht so touristisch wie Morretes. Dann kommen wir südlich von Paranagua endgültig an den Atlantik.

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Das erwartete kleine Küstensträßchen entpuppt sich jedoch als durchgängig besiedelte hässliche Durchgangsstraße. Von einsamen Stränden keine Spur, denn die Wohn- und Geschäftsviertel reichen bis an das Wasser. Fast 30 km fahren wir durch eine nicht enden wollende Ortschaft wobei sich unsere Hoffnung auf ein nettes Strandplätzchen im dichten Verkehr auflöst. Und plötzlich stehen wir an der Fähre über die Lagune. Vom Schiff aus sehen wir in der Ferne einige kleine Boote am Strand liegen – ob da wohl was geht? Am anderen Ufer angekommen finden wir eine kurvenreiche, steile Dorfstraße, die uns über einen Berg zu den Booten bringt und da ist er, unser Stellplatz am Strand eines winzigen Fischerdörfchens. Vor uns die von Küstenregenwald eingerahmte Lagune, hinter uns einige Fischerhäuschen, am Strand ein paar Boote und im Wasser ein ausgelegtes Netz. Ein Anwohner versichert uns, hier sei es ruhig und angenehm während er ein paar Netze beiseite räumt, damit wir mehr Platz haben. Wir fühlen uns auf Anhieb gut aufgehoben.

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Zwei Tage verbringen wir am Strand von Guaratuba, gehen spazieren, sitzen in der Sonne, lesen und schreiben, und Barbara geht natürlich – im recht frischen Wasser baden. Der dritte Tag wird mir gründlich verdorben, denn ich rutsche im Dunkeln auf einer Schlammpfütze aus und zerre mir Knie und Hand so heftig, dass ich links nicht mehr auftreten und nichts mehr greifen kann. Ich gönne mir einen Tag Schonung, dann brechen wir auf. Dank Automatik kann ich den Wagen auch mit einem Bein und einer Hand fahren. Wir wollen für ein paar Tage nach Blumenau. Dort sollte, falls nötig, ein Arzt aufzutreiben sein.

Am frühen Nachmittag erreichen wir Pomerode, eine Kleinstadt, die wie Blumenau von Deutschen gegründet wurde. Hier wird vereinzelt noch Deutsch gesprochen, mitunter sogar Plattdeutsch, wie Barbara beim Einkauf von Schwarzbrot und Käsekuchen in einer Bäckerei erfahren darf. An vielen Geschäften finden sich deutsche Namen und auch sonst werden deutsche Traditionen in Volkstanz- und Musikgruppen gepflegt. Der Ort wirkt wohlhabend und überaus sauber. An der Tankstelle hätte man vom Betonboden essen können. Natürlich fehlt auch die deutsche Vorstadtidylle nicht, bis hin zu den unvermeidlichen Gartenzwergen.

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Eigentlich würden wir gern einen Tag bleiben, doch wegen Barbaras hartnäckiger Angina und meines Unfalls fahren wir weiter in das 270.000 Einwohner zählende Blumenau, das eine bessere Versorgung verspricht. Den zentrumsnahen kommunalen Campingplatz gibt es jedoch nicht mehr, direkt daneben aber ein großes Pfadfindercamp mit allem, was wir brauchen: Sanitäreinrichtungen, Wasser und sogar Strom. Der Hausmeister lässt uns für 20 Reais (8 Euro) in der schönen Anlage am Rande eines Stücks Regenwald campen, sodass wir uns erstmal erholen können.

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Gleich am nächsten Morgen macht sich Barbara auf die Suche nach einem Arzt und findet durch Zufall einen guten HNO-Arzt für ihre Angina. Der ist deutschstämmig, seine Sprechstundenhilfe auch. Als sie Barbaras Personalien aufnimmt und bei Beruf angekommen ist, fragt sie: „Was duhsde mache?“ Mir als Hesse fiel es nicht schwer zu erraten, wo ihre Vorfahren herkommen.

Nach drei Tagen sind wir wieder soweit hergestellt, dass wir weiterfahren können. Von Blumenau haben wir nicht viel gesehen. Wir bedauern das nicht sehr, denn die Stadt zeichnet sich vor allem durch eine blühende Elektronikindustrie aus und die wenigen erhaltenen Fachwerkhäuser sind kein wirklicher Anreiz, hier zu verweilen. Deshalb fahren wir auf der Küstenschnellstraße 101 weiter nach Süden. Unser Ziel sind zwei langgestreckte Halbinseln, auf denen wir uns noch ein paar Tage einsames Strandleben erhoffen. Florianopolis lassen wir links liegen, obwohl die Strände dort toll sein sollen. Wir haben keine Lust auf große Städte und das beachlife der Reichen und Schönen.

70 km weiter finden wir dann aber ein ruhiges Plätzchen in Praia do Rosa am Meer. Das Örtchen liegt mit seinen niedrigen Häusern versteckt im Küstenregenwald und ist bekannt für seinen nachhaltigen, ökologisch orientierten Tourismus. Kleine Hotels und Privatunterkünfte verteilen sich an der malerischen Bucht und die Sandwege lassen nur sehr begrenzten Verkehr zu. Und keine tief hängenden Trittstufen. Wieder setzen wir hart auf und der Tritt reißt halb ab. Wild entschlossen bohre ich am Straßenrand die restlichen Nieten aus, entferne den Tritt samt Halterung und schmeiße ihn weg. Das hätte ich schon vor einem dreiviertel Jahr machen sollen!

Am Ende des Dorfes finden wir einen Platz am Wasser. Unter uns schmiegen sich nur noch drei Fischerhütten an den Hang und auf der Terrasse des nahen kleinen Strandlokals können wir unseren sundowner trinken während vor uns einige Surfer in den hohen Wellen um den längsten Surf und den elegantesten Sprung wetteifern. Barbara kommt mit einem jungen Fischer ins Gespräch und lädt ihn zu einem Bier ein. Zum Dank bringt er uns einen Teller voll mit frisch gefangenen Fischen zum Abendessen vorbei. Es gefällt uns hier und wir bleiben zwei Tage.

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Unsere nächste Station ist Laguna. Wie der Name vermuten lässt, liegt die Stadt an einer Lagune (Lagoa de Sto. Antonio), deren Fischreichtum nicht nur zahlreiche Fischerboote anzieht, sondern auch Tausende Delfine. Von einer Mole aus können wir die Meeressäuger im Abendrot beobachten, bevor wir im örtlichen Campingplatz einchecken. Wir wollen mal wieder ausgiebig warm duschen und uns für die nächsten Tage am Strand versorgen.

Der Platz ist recht nett und komfortabel und wir sind die einzigen Gäste. Aber gegen unsere freien Plätze ist er nur dritte Wahl. Deshalb fahren wir morgens sofort weiter, setzen mit der Fähre über die Lagune und frühstücken auf einer Landzunge mit Blick auf den Leuchtturm. Auf den Steinen sitzen Angler, Fischerboote laufen zu ihren Fanggründen aus und Delfine tummeln sich vor unserem Häuschen im Wasser; so dehnt sich das Frühstück bis zum Mittag aus.

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Für die Weiterfahrt wählen wir die Sandpiste am Meer entlang in der Hoffnung auf eine Bleibe am Strand. Doch der Weg und die Zufahrten zum Meer sind so schlammig, dass wir froh sind überhaupt durchzukommen. Auch in dem hübschen Fischerdorf Farol de St. Marta finden wir keinen Strandplatz. Schade, denn hier steht der größte Leuchtturm Südamerikas, eine würdige Kulisse für einen Tag am Meer. Am Ende bekommen wir hinter Jaguaruna dann doch noch unseren Übernachtungsplatz in den Dünen.

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Auf der N 101 geht es weiter nach Süden. Die Straße ist eine einzige Baustelle, denn sie wird gegenwärtig vierspurig ausgebaut. So kommen wir nur langsam voran und müssen an einer Tankstelle übernachten, bevor wir die schmale Halbinsel zwischen Porto Alegre und Rio Grande erreichen. Und dann passiert es: Ein tiefes Schlagloch – ein harter Schlag – der Motor stirbt ab und die Warnblinkanlage schaltet sich ein. Trotz aller Versuche geht der Motor nicht wieder an und die Warnblinkanlage nicht mehr aus. Was wir immer befürchtet hatten ist nun eingetreten. Der Bordcomputer hat den Wagen lahm gelegt. Ich klemme die Batterie ab, damit sie nicht leer läuft und ziehe die 500 Seiten starke Betriebsanleitung zu Rate. Ich erinnere mich dunkel, etwas von einer Notabschaltung der Kraftstoffpumpe bei einem Unfall gelesen zu haben. Wir finden dann auch einen Hinweis auf einen Trägheitsschalter und eine Einbauzeichnung. Nur den Trägheitsschalter finden wir nicht. Dort, wo er sitzen sollte, befindet sich nur ein Sockel mit einem leeren Gewinde. Vielleicht ist er woanders eingebaut? Über eine Stunde suche ich das Führerhaus und den Motorraum ab – nichts! Es wird Abend und die Situation ungemütlich. Wir möchten ungern auf einer einsamen brasilianischen Landstraße, halb auf der Fahrbahn stehend übernachten. Also sichern wir das Auto so gut es geht und fahren per Anhalter zur nächsten Tankstelle. Auf die Frage, ob es jemanden gäbe, der uns hierher abschleppen könne, antwortet der Besitzer nur: „Ich!“ Und schon sitzen wir in seinem Pickup und 45 min später steht unser Häuschen an der Tankstelle. Unser Retter bietet uns auch gleich an, dort zu übernachten und sein Internet zu benutzen, sodass wir zwei Notrufe an den Fiat-Camper-Service nach Mailand und unsere Fiat-Werkstatt in Delmenhorst schicken können.

Die Sache lässt mir nachts keine Ruhe. Mit einer Taschenlampe bewaffnet mache ich mich erneut auf die Suche nach dem Trägheitsschalter. Endlich! In der äußersten Ecke der Beifahrerseite, ganz unten rechts hinter der Fußverkleidung fühle ich eine Gummikappe, die sich eindrücken lässt. Der Motor springt wieder an, die Warnblinkanlage bleibt aus und wir schlafen sehr erleichtert ein.

Als wir morgens die Abschleppkosten bezahlen wollen, weigert sich der Tankstellenbesitzer, Geld anzunehmen. Wir bedanken uns mit einer Flasche Wein und ein paar kleinen Geschenken für seine zweijährige Tochter und geben ihm unsere Internetadresse, bevor wir weiterfahren. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass sowohl Mailand als auch Fiat Brühning in Delmenhorst so schnell sie konnten geantwortet haben – ein beruhigendes Gefühl.

Die 300 km lange Halbinsel ist geprägt von einer Marschlandschaft, die wenig Abwechslung bietet. Nirgendwo findet sich eine Stelle, wo wir hätten bleiben können oder wollen. Lediglich der Nationalpark Lagoa do Peixe erscheint uns interessant, ist aber wegen überschwemmter Wege zurzeit kaum zugänglich. Immerhin sehen wir viele Flamingos und andere Wasservögel in den flachen Lagunen. Etwas enttäuscht fahren wir durch bis zum Ende der Halbinsel, wo wir an einem menschenleeren Strand nahe San Jose do Norte übernachten können.

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Mit einer Fähre überqueren wir die Mündung der Lagoa do Patos von San Jose nach Rio Grande und befinden uns damit auf einer zweiten Landzunge, die 250 km lang ist und erst an der Grenze zu Uruguay endet. Die Landschaft hat sich kaum verändert. Nur in den Feuchtgebieten Esteros do Taim halten wir immer wieder an, um Tiere zu beobachten. Sie sind uns wohlbekannt, denn die Fauna hier ist in etwa die Gleiche wie die der Esteros de Ibera in Nordargentinien. Lediglich die Kaimane lassen sich nicht blicken.

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Vor der Grenze nach Uruguay nutzen wir die letzte Gelegenheit, um noch mal ans Meer zu kommen. Eine Stichstraße führt zum kleinen Dorf Balneareo Hermengildo, wo wir uns abseits der Häuser am Strand niederlassen. Dass wir den Stellplatz nicht sorgfältig genug ausgewählt haben, zeigt sich am nächsten Tag. Als ich losfahren will, graben sich die Antriebsräder schon bei der ersten Umdrehung hoffnungslos im weichen Sand ein. Etwas genervt kramen wir die Sandbleche aus dem Stauraum unterm Bett hervor,  schaufeln die Motorabdeckung und die Räder frei, schieben die Sandbleche darunter und schon sind wir wieder flott. Da weiß man wenigstens, wozu man den Kram die ganze Zeit mitgeschleppt hat. Bis zur Grenze sind es nur noch 35 km. In Uruguay, unserem 17. und letzten Land wollen wir die Reise gemütlich am Meer ausklingen lassen.

19. Juni 2010

41 Argentinien / Brasilien: Die Wasserfälle des Rio Iguazu

Filed under: 41 Iguazu-Fälle — vokobremen @ 20:25

10.5. – 20.5.2010  Um 10:30 Uhr starten wir von der Laguna Ibera nach Norden auf der Provinz-„Straße“ 41, die an den Feuchtgebieten von Ibera entlang führt. Das Wasser reicht bis zum Rand der Piste, manchmal auch darüber. Ihr Zustand ist wie erwartet schrecklich. Schwere Fahrzeuge und Traktoren haben sie in der Regenzeit völlig kaputt gefahren. Wir mögen uns nicht vorstellen, wie sie bei Nässe aussieht. Aber jetzt ist es relativ trocken. Loser Sand, Matsch und tiefe Reifenspuren wechseln sich ab. Das größte Problem aber ist, überhaupt eine Spur zu finden, auf der man fahren kann, und das 150 km lang.

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Trotzdem ist die Fahrt kurzweilig und interessant. Charlotte, unsere Mitfahrerin, erzählt uns von ihrer Arbeit und ihren Erlebnissen in Südamerika. Sie absolviert ein freiwilliges Jahr an verschiedenen Orten in Argentinien, derzeit an einer Schule in Misiones, der Nordost-Provinz des Landes. Immer wenn sie Freizeit hat, geht sie auf Reisen, wie jetzt zur Laguna Ibera.

Unterwegs kommen wir an eine Polizeikontrolle. Der Beamte plaudert mit Barbara über unsere Reise, wünscht uns alles Gute und versichert, wir könnten uns mit allen Problemen an die Polizei von Misiones wenden. Die Provinz empfängt uns mit offenen Armen.

Nach gut fünf Stunden haben wir die Piste hinter uns und erreichen nach weiteren 60 km Teerstraße Posadas. Hier versuchen wir erneut, unsere Gasflasche füllen zu lassen – zweimal ohne Erfolg. Beim dritten Versuch landen wir an einer großen Shell-Gasstation, die aber schon Feierabend hat. Wir beschließen, bis zum Morgen hier zu bleiben, denn Posadas ist die letzte Möglichkeit, vor der brasilianischen Grenze an Gas zu kommen. Charlotte setzen wir an der Busstation ab. Von hier aus sind es nur noch 80 km bis nach Jardin America, ihrem derzeitigen Zuhause.

Unser Zuhause ist für heute ein kleiner Seitenweg am Gaswerk. Zwei Hunde, denen wir ein paar Fleischabfälle geben, bewachen dafür unser Häuschen die Nacht über – hier kein ungewöhnliches Ereignis. In Südamerika leben Millionen von freilaufenden Hunden, denen eins gemeinsam ist: Sie sind niemals aggressiv oder aufdringlich, aber immer für einen guten Happen dankbar. In angemessenem Abstand warten sie geduldig ab, bis etwas für sie abfällt, das dann auch noch ohne Rauferei mit den Artgenossen geteilt wird. Ich hätte so etwas vor dieser Reise nicht für möglich gehalten.

Lautes Gasflaschengeklapper weckt uns früh am Morgen. Die Gasstation hat geöffnet, also nichts wie hin. Nein, Gasflaschen für Privatkunden füllen sie nicht – was, und auch noch amerikanische!? Der Chef kommt und will schauen, ob sich was machen lässt. Zehn Minuten später bringt er uns höchstpersönlich die gefüllte Flasche und nimmt nicht mal Geld dafür an. Wir sollen sie als Geschenk der Provinz Misiones betrachten und diese in guter Erinnerung behalten. Versprochen! Das tun wir – ganz bestimmt!

Von nun an folgen wir nur noch der N 12 nach Nordosten, am Rio Parana entlang, der die Grenze nach Paraguay bildet. Nach knapp einer Stunde machen wir in San Ignacio Halt. Wir wollen die Ruinen der ehemaligen Jesuiten-Missionsstation besuchen.

Die ersten Jesuiten kamen im Jahr 1610 in dieses Gebiet. Gegründet wurde die Mission San Ignacio Mini dann im Jahr 1696, um die hier lebenden Guarani-Indianer zu missionieren. Neben dem Christentum brachten die Jesuiten den Ureinwohnern aber auch Bildung sowie handwerkliche und landwirtschaftliche Ausbildung, wobei die Missionare Kultur und Sprache der Indios weitgehend respektierten. Darüber hinaus boten die Missionen den Guarani Schutz vor Sklavenjägern und vor Übergriffen durch die Kolonisten. Die Aktivitäten der Jesuiten sind jedoch keineswegs unumstritten. Während einerseits das humane Engagement anerkannt wird, ist das Aufoktroyieren einer fremden Religion und Kultur aber Gegenstand heftiger Kritik.

In der Blütezeit des Ortes um 1730 wohnten hier etwa 4.000 Personen (Missionare und Indios) – jede Guarani-Familie in einem steinernen Haus. Im Nordosten Argentiniens lebten über 140.000 Menschen in 30 solcher Missionen, die der Provinz Misiones ihren Namen gaben. Nachdem die Jesuiten 1767 vom spanischen König Carlos III zurückbeordert wurden, lösten sich die Missionen langsam auf und wurden während der Kriege im frühen 19. Jhd. größtenteils zerstört. San Ignacio Mini ist eine der am besten erhaltenen Missionsruinen in Argentinien.

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Nur noch 240 km sind es bis zu den Iguazu-Fällen. Doch 40 km davor finden wir einen herrlichen Campingplatz am Stausee Urugua-i. Der Platz ist nicht nur schön gelegen und weitgehend naturbelassen, sondern auch noch äußerst preiswert (1 Euro/Tag). Wir sind allein auf dem großen Gelände und bleiben 2 Tage in denen wir uns von den langen Fahrten erholen und Barbara versucht, ihre Angina in den Griff zu kriegen.

Dann endlich geht’s nach Puerto Iguazu, der argentinischen Grenzstadt am Rio Iguazu. Am anderen Ufer liegt die brasilianische Stadt Foz do Iguazu, denn der Fluss bildet auch die Grenze zu Brasilien, weshalb sich die beiden Länder die Wasserfälle des Rio Iguazu teilen müssen. Wir checken im Campingplatz Americano für 3 Tage ein. Hier treffen wir Birte und Ingo aus Hamburg wieder, die wir vor Wochen unterwegs kennen gelernt hatten. Die Beiden haben etwa die gleiche Tour wie wir hinter sich, nur dass sie sich dafür 2 1/2 Jahre Zeit gelassen haben. Allmählich kommen wir uns vor wie auf einem Kurztrip in den Osterferien.

Ungeduldig machen wir uns gleich auf den Weg zum Nationalpark Iguazu. Wir stellen das Auto auf einem Parkplatz ab und fahren mit einem Schmalspurbähnchen zu den Wasserfällen, die zu den drei größten der Welt gehören. Die beiden anderen, die Niagara Falls in Kanada/USA und die Victoria Falls in Zimbabwe/Sambia kennen wir bereits von früheren Reisen. Jetzt sind wir gespannt auf die dritten, die Cataratas del Iguazu. Die bestehen im Unterschied zu den beiden Erstgenannten aus zahlreichen Einzelfällen. 20 große und 255 kleinere sind es, die sich über eine Abbruchkante von 2,7 km Länge verteilen und dabei eine Wassermenge von bis zu 7 Mio. Litern pro Sekunde transportieren. Doch nicht nur die Größe macht die Iguazu-Fälle so einzigartig, sondern auch die Tatsache, dass sie inmitten eines großen Regenwaldgebietes liegen. (Die Luftaufnahmen 1100 und 1102 sind nicht von uns)

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Als erstes nehmen wir uns die Hauptplattform vor. Dorthin gelangt man über einen 1,1 km langen Steg, der den Rio Iguazu überquert. Die Plattform liegt direkt über der Garganta del Diablo (Teufelsschlucht), in die der größte, hufeisenförmige Wasserfall hinabstürzt. Es ist ein wahrhaft Atem beraubender Anblick, zumal der Fluss im Moment besonders viel Wasser führt. Unter Ohren betäubendem Lärm wälzen sich die gewaltigen Wassermassen in die Tiefe und erzeugen dabei Gischtfontainen, die hunderte Meter in die Luft schießen und dabei für kurze Zeit Regenbögen in den Himmel malen. Etwa 1 1/2 Stunden nehmen wir uns Zeit für dieses Naturschauspiel bevor wir beschließen, zurückfahren und uns die anderen Fälle für morgen aufzusparen (gelbe Kreise = Aussichtsplattformen).

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Den zweiten Tag bringen wir damit zu, auf dem ausgedehnten Wegenetz durch den Urwald zu den verschiedenen Aussichtspunkten zu wandern. Der obere Steg verläuft über der Abbruchkante entlang und bietet fantastische Sichten auf die Fronten der Fälle und in die Schluchten. Und da heute ganztägig die Sonne scheint, haben sich die Wasserfälle vielfach mit leuchtenden Regenbögen geschmückt. Und hier kommen uns Felix und Masya aus Frankreich entgegen. Wir haben sie im Laufe von Monaten schon viermal getroffen, das letzte mal 4.000 km weiter südlich in Ushuaia. Die Reisewelt ist klein.

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Der zweite Pfad führt hinab in die Talsohle. Von unten sehen die Wasserwände noch imposanter aus. Man erlebt die Naturgewalten hautnah, mitunter auch bis auf die Haut nass, vor allem, wenn man sich auf die Plattform am Fuße eines der großen Fälle wagt. Für einige Besucher wird das Erlebnis erst dadurch authentisch – wir begnügen uns mit der Trockenübung und einem Foto der Freiluft-Dusch-Queen.

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Hier unten in den feuchten Niederungen des Regenwaldes können wir auch noch einige Tiere beobachten: einen wunderschönen roten Tukan, diverse Nasenbären eine Echse und viele Schmetterlinge.

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Wir gönnen uns noch einen Tag Ruhe auf dem Campingplatz, um die Eindrücke etwas sacken zu lassen. Dann fahren wir über die Grenzbrücke und reisen nach Brasilien ein, denn die Sicht auf die Fälle von der brasilianischen Seite aus wollen wir uns auf keinen Fall entgehen lassen. Beide Länder wetteifern mit immer neuen Anlagen um die besten Ausblicke auf die Wasserfälle und um die Einnahmen aus den Parkeintritten der Besucher. Ein billiges Vergnügen ist der Besuch der Iguazu-Fälle nicht. Doch alle, die dort waren sind sich einig: man muss beide Seiten gesehen haben.

Mit der Einreise haben wir ein neues Problem. Brasilien ist das 16. Land auf unserer Reise, aber das erste, dessen Sprache wir beide nicht beherrschen – hier wird bekanntlich Portugiesisch gesprochen. Selbst Barbara tut sich mit ihren sehr guten Spanischkenntnissen recht schwer. Wir campen einige km vom Nationalpark entfernt im Paudimar, einer gut geführten Jugendherberge, die auch über komfortable Stellplätze für Campmobile verfügt.

Für die brasilianische Seite des Iguazu nehmen wir uns fast einen ganzen Tag. Vom Parkplatz aus geht ein Shuttlebus, der an den verschiedenen Zugängen zu einem Panoramaweg entlang der Fälle hält. Wir fahren durch bis zum Ende, wo sich die Hauptplattformen befinden. Von der oberen hat man einen Überblick über die größten Fälle, die untere gestattet normalerweise einen einzigartigen Blick vom Fluss in die Teufelsschlucht. Heute aber nicht, denn das Wetter ist trüb und die Gischtwolken wegen des hohen Wasserstandes so mächtig, dass man wie vor einer Nebelwand steht – der richtige Hintergrund für asiatische Touristen, die sich hier hundertfach gegenseitig ablichten (vgl. Bild 1102: gelbe Kreise = Aussichtsplattformen).

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Trotz der mäßigen Sicht sind die Ausblicke von dem Panoramaweg aus sehr beeindruckend und der Weg als solcher schon den Aufwand wert, denn er führt an einem Hang entlang durch den Regenwald. Gegen Abend fahren wir noch mal zurück zur Teufelschlucht und trinken auf einer Terrasse, keine zwei Meter über dem Hauptfall, einen Kaffee. Die Frau des amerikanischen Präsidenten Roosevelt soll beim Anblick der Iguazu Fälle gesagt haben: „Poor Niagara!“ Dem können wir uns anschließen.

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Da wir schon mal in Foz do Iguazu sind, wollen wir uns auch das Wasserkraftwerk am Stausee Itaipu ansehen, ein gemeinsames Projekt von Brasilien und Paraguay. Es ist das größte Einzelkraftwerk der Welt. Seine 18 Turbinen liefern eine Leistung von 12,6 Mio. kW was etwa der Leistung von 10 Atomkraftwerken entspricht – genug, um damit 20% des brasilianischen und 80% der paraguayischen Strombedarfs zu decken. Der Staudamm ist 8 km lang und besteht aus einem Stein/Kleiboden-Teil und einer Betonmauer, in die das Kraftwerk integriert ist.

Für mich ist der Besuch eigentlich eine interessante Sache, doch er wird mir gründlich verdorben. Allein die 25 Euro Eintritt sind schon eine Unverschämtheit. Dann werden wir mit einem 20minütigen informationslosen Werbefilm gelangweilt und bei der Bustour am Staudamm plappert eine hochhackige brasilianische Schönheit ihren Text in Spanisch und Englisch wie ein Wasserfall herunter, so als wolle sie dem Iguazu Konkurrenz machen. Ich bin froh, als die Gruppe im Kraftwerk geteilt wird und die englisch sprechenden Teilnehmer von einem Ingenieur geführt werden, dem ich dann ein paar Fachfragen stellen kann. Nach der 2 1/2stündigen Veranstaltung ärgere ich mich, überhaupt teilgenommen zu haben. Trotzdem ein paar Bilder:

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Wesentlich erfreulicher verläuft unsere dritte Unternehmung in Foz do Iguazu. Obwohl wir beide keine Freunde von Tierparks sind – wir beobachten die Tiere lieber in Freiheit – machen wir bei dem hiesigen Vogelpark eine Ausnahme. Die sehr großzügig angelegten Gehege und Volieren sind in ein Stück Regenwald integriert, den man auf einem Rundweg durchwandert. Durch einige besonders große Volieren führt der Weg sogar hindurch. So haben wir Gelegenheit, auch solche Vögel vor die Kameralinse zu bekommen, die in freier Natur nicht oder nur schwer zu beobachten sind. Die meisten Vögel aber sehen wir zum Schluss in den Regalen des Souvenir Shops.

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Nach einer Woche an den Wasserfällen des Rio Iguazu müssen wir uns nun entscheiden, was wir mit dem letzten Monat unserer Reise anfangen. Letztendlich beschließen wir, nach Osten zur brasilianischen Küste zu fahren und an den Traumstränden von Brasilien und Uruguay Urlaub vom Reisen zu machen. Für die letzten 3.000 km in unserem Häuschen haben wir 5 Wochen Zeit, die wir ausschließlich dem Wohlleben widmen wollen.

12. Juni 2010

40 Argentinien: Der Nordosten

Filed under: 40 Argentinien: Der Nordosten — vokobremen @ 18:26

28.4. – 9.5.2010  Die Provinz La Pampa macht ihrem Namen alle Ehre. Bis Realico ist die Ruta 35 eine gerade Linie auf der Karte, 190 km exakt in Nord-Süd-Richtung. Dann kommen wir in die Provinz Cordoba, wo sie in die 36 übergeht. Aber weder die Pampa noch die Zäune hören auf. Lediglich einige Maisfelder und hin und wieder ein grünes Rechteck mit jungem Getreide lockern das Landschaftsbild etwas auf. Die Hände schlafen mir ein, denn sie liegen seit Stunden bewegungslos auf dem Lenkrad. Allmählich werden selbst wir pampamüde.

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In Vicuna Mackenna halten wir an einer Esso-Station an, um zu tanken, Wasser zu bunkern und zu duschen. Tankstellen verkaufen in Mittel und Südamerika nicht nur Benzin, sondern sind Service-Zentren für die Trucker. Dazu gehören neben den üblichen Cafes, Shops und Reifenservices eben auch Sanitäranlagen mit Duschen, und zunehmend Internet mit W-Lan, hier WiFi genannt; vor allem aber Stellplätze zum übernachten. Die letztgenannten Leistungen sind in der Regel kostenlos. Für uns sind die Tankstellen wichtige Versorgungsstationen und in seltenen Fällen die einzige Möglichkeit zu übernachten. Heute entscheiden wir uns, hier zu bleiben, denn es gibt nicht nur ein schnelles W-Lan-Netz, sondern auch einen ordentlichen Stellplatz unter Bäumen hinter der Tanke. So stehen wir abends zwischen den großen Trucks, können in Ruhe unser neuestes Blog-Kapitel hoch laden und dabei im Kreise der „Kollegen“ Kaffee trinken. Die sind immer sehr freundlich und respektieren uns als Mitbewohner der Landstraße. Leider stehen sie oft sehr früh auf, sodass wir schon vor Sonnenaufgang von einem 400-PS-Diesel aus dem Schlaf gerüttelt werden.

Die Dusche fällt für Barbara morgens aus, denn es gibt nur eine und die trägt die Aufschrift Caballeros. Während wir im offenen Häuschen frühstücken, grillen sich die Truckies zwischen ihren Lastzügen bereits tellergroße Steaks zum Mittagessen. An den Autospiegeln sind Wäscheleinen befestigt, auf denen ihre T-Shirts und Jeans trocknen. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre, in der wir uns nicht ausgeschlossen fühlen.

Abends kommt dann Barbara zum Zug. Wir haben beim Kaffeetrinken an einem idyllischen Platz am Fluss beschlossen, hier zu übernachten und so bekommt sie statt einer Dusche an der Tankstelle ein Vollbad in fließendem Wasser unter freiem Himmel.

Zwischenzeitlich kommt ein älterer Mann mit Pferdefuhrwerk vorbei und fährt den Fluss hinunter. Als er zurückkommt ist der Wagen mit Sand beladen und Barbara sofort im Gespräch mit ihm. Er fährt täglich zweimal Sand holen, erzählt er. Den verkauft er dann an Leute der Umgebung, die ihn zum Bauen brauchen. Es ist guter Sand und deshalb begehrt, sagt er stolz und scheint mit seiner Arbeit sehr zufrieden zu sein. Er verabschiedet sich mit Handschlag und besten Wünschen für unsere Weiterreise.

Wir verlassen die N 36 am nächsten Tag und fahren auf der Provinzstraße 5 in ein bergiges Feriengebiet mit Stausee. Die Eintönigkeit der Pampa hat damit zwar erstmal ein Ende, dafür befinden wir uns nun in einer touristisch komplett durchorganisierten Gegend, also nach dem Regen in der Traufe. Unser eigentliches Ziel aber ist Villa General Belgrano. Das Städtchen ist nicht nur als Ferienort bekannt, sondern vor Allem für seinen deutschen Charakter. Das wollen wir sehen.

Villa General Belgrano wurde in den 20er Jahren des vorigen Jhd. von gut einem Dutzend Familien aus Mitteleuropa gegründet, ursprünglich mit dem Ziel, Apfel- und Nussplantagen anzulegen. Das misslang zwar, aber zum Glück für den Ort entwickelte sich schon früh das Geschäft mit dem Tourismus, das bis heute anhält und offenbar bestens gedeiht. Das Deutschtum bekam 1943 einen Schub, als Teile der Besatzung des Panzerkreuzers Graf Spee sich hier ansiedelten, nachdem sie ihr Schiff vor der Küste Uruguays selbst versenkt hatten.

Heute präsentiert sich das Zentrum der Stadt als Ansammlung von pseudobayrischer Architektur mit einer Vielzahl von Souvenirläden, die jedwedes Klischee von deutscher Lebensart bedienen: angefangen von scheußlichen Bierkrügen über Kuckucksuhren, Edelweiß, röhrende Hirsche und Lederhosen bis hin zu den geschmacklosesten „deutschen“ Motiven auf allem, was sich verunzieren lässt. Natürlich fehlen auch die „deutschen“ Restaurants nicht – alle mit urdeutschen Namen und deutscher Speisekarte. Wir essen Wurst mit irgendwas. Meine Brazwurst geht so, Barbaras gegrillter!!! Weißwurst erbarmt sich schließlich ein abgemagerter Straßenköter. Immerhin finden wir eine Bedienung, die noch etwas Deutsch spricht, aber auch nicht recht weiß warum.

Nach einem Nachmittag in Villa General Belgrano (der Name hört sich zwar deutsch an, ist aber urargentinisch, denn Senor Belgrano hat die argentinische Flagge entworfen) haben wir genug gesehen, verwerfen den Gedanken an einen deutschen Abend, möglicherweise mit Blasmusik, und fahren weiter.

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Doch unser nächstes Ziel ist ideologisch nicht minder delikat: Eine knappe Stunde später sind wir nämlich in Altagracia. Dort wollen wir uns die sehr gut erhaltene Jesuiten-Missionsstation und das Che-Guevara-Museum anschauen. Die Mission war ursprünglich eine estancia, Der damalige Besitzer, Don Alonso, schenkte das Landgut 1643 den Jesuiten, die bis 1762 die Kirche hinzufügten. Kurz darauf wurden sie von der spanischen Krone zurückbeordert, der die Jesuiten wegen ihrer erfolgreichen Arbeit zu mächtig geworden waren. 1968 wurde der letzte Besitzer der Estancia Jesuitica vom argentinischen Staat enteignet. Seitdem ist sie ein Museum und seit 2000 UNESCO-Weltkulturerbe.

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Am späten Nachmittag treten wir dann den langen Fußmarsch zum Che-Guevara-Museum an, das in dem Haus untergebracht ist, in dem Che einen Teil seiner Jugend verbracht hat. Leider ist es schon geschlossen und so müssen wir uns mit dem Anblick seines Wohnhauses begnügen. Am nächsten Morgen – es ist der erste Mai – schreitet Barbara zur Tat und kauft an einem Marktstand einen Matebecher mit dem Konterfei des Revolutionärs. Che wird sicherlich, wie die meisten Argentinier, ständig Matetee mit einem silbernen Röhrchen aus kleinen Bechern geschlürft haben.

Von Altagracia fahren wir nach Cordoba. Wir können die Millionenmetropole und zweitgrößte Stadt Argentiniens auf einem Ring elegant umfahren und kommen deshalb zügig auf die N 19 nach Westen. Acker- und Weideland wechseln sich ab, interessanter wird es dadurch nicht. Das ändert sich allmählich, als wir Santa Fe erreichen. Hier müssen wir den Rio Parana überqueren. Dazu benötigen wir 33 km und zig Brücken, denn der Fluss ist in zahllose Arme verästelt, dazwischen ist Sumpfgebiet. Am anderen Ufer liegt Parana und die Provinz Entre Rios. Die liegt, wie der Name vermuten lässt, zwischen zwei Flüssen: dem Rio Parana und dem Rio Uruguay, beides gewaltige Ströme. Das macht die Landschaft fruchtbar und grün. Zwischen den Feldern und Weiden stehen vereinzelt Palmen. Ursprünglich war das ganze Gebiet fast vollständig von Yatay-Palmen bewachsen, die jedoch mit Beginn des 20. Jhd. nach und nach abgeholzt wurden und der Landwirtschaft weichen mussten. Lediglich 8.500 qkm dieser Palmen-Savanne sind erhalten geblieben und werden seit den 60er Jahren als Nationalpark El Palmar geschützt. Genau dort fahren wir heute hin.

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Im Park gibt es ein Wegenetz, das zu verschiedenen Aussichtspunkten und Wanderpfaden führt. Beim ersten Stopp ist unsere Tour aber auch schon zu Ende. Ein Handwerker konnte sich wohl nicht vorstellen, dass es Menschen mit mehr als 1,75 m Körpergröße gibt und hat eine Überdachung so angebracht, dass mir ein Eisenträger die Kopfhaut bis auf den Knochen durchstanzt. Aber ich habe Glück im Unglück. Neben dem Campingplatz des Nationalparks wohnt eine Ärztin. Sie unterbricht das Autowaschen, geht mit mir ins Haus und holt aus der Abstellkammer eine Werkzeugkiste. Ich fürchte schon, dass sie mir mit Hammer und Meißel zu Leibe rückt, doch als sie die Kiste öffnet, kommen, bunt durcheinander gewürfelt, medizinische Geräte, Verbandszeug, Spritzen und Medikamente zum Vorschein. Ich bin erleichtert und versuche einen entspannten Gesichtsausdruck hinzubekommen während sie, noch im Arbeitsanzug, die Wunde am Küchentisch ganz professionell näht. Und da wir nun wieder in die Subtropen kommen, erkundigen wir uns gleich nach den Krankheiten. Malaria gibt es hier nicht, Denge kann aber weiter nördlich schon mal vorkommen, und gegen Gelbfieber sind wir ohnehin geimpft. Am besten sei es, sich gegen Mückenstiche zu schützen, gibt sie uns zum Abschied mit auf den Weg.

Wir lassen uns auf dem Campingplatz nieder, der sehr großzügig angelegt ist und direkt am Rio Uruguay liegt. Abends hören wir draußen fremde Geräusche. Im Licht der Lampen sehen wir Vizcachas durchs Gras hoppeln. Die etwa hasengroßen Nagetiere, Verwandte der Chinchillas, bilden große Familienverbände und leben in Erdhöhlen. Als Nachttiere bekommt man sie normalerweise selten zu sehen, aber hier sind sie nicht sehr scheu.

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Einen Ruhetag gönnen wir uns, den wir mit faulenzen, Vögel beobachten und kleinen Spaziergängen am Fluss verbringen. Der Rio Uruguay führt wegen anhaltender Regenfälle im Moment so viel Wasser, dass manche Wege überflutet sind. Das weitere Erkunden des Parks verlegen wir auf den nächsten Tag, wo wir verschiedene Aussichtspunkte anfahren und durch die Palmenwälder wandern.

Noch am Nachmittag fahren wir weiter – auf der N 14 in Richtung Mercedes. Die Straße ist eine einzige Baustelle und durch Schwerverkehr völlig überlastet. Zu allem Überdruss ertönt dann auch noch der uns wohl bekannte harte Knall und die Windschutzscheibe ist durch einen weiteren Steinschlag „verziert“, diesmal in der Form eines Kolibris – wenigstens etwas. Mein Stimmungsbarometer pendelt sich zwischen Straße und Bodenblech des Autos ein und steigt erst wieder auf Lenkradhöhe, als wir in Chajari eine Werkstatt finden, die uns die beiden letzten Glasschäden für 60 Pesos (12 Euro) repariert.

Dann nehmen wir noch einen Umweg über Paso de Los Libres von über 100 km in Kauf, um dort unsere zweite Gasflasche wieder füllen zu lassen. Der arme Gashändler müht sich drei Stunden lang unter Zuhilfenahme seines gesamten Equipments ab – ohne Erfolg. Als wir weiterfahren ist er ohne Einnahme und unsere Gasflasche immer noch leer.

So brauchen wir zwei Tage, um die 330 km bis Mercedes zu schaffen. Immerhin bleibt uns noch der Nachmittag, um eine Wallfahrtsstätte zu besuchen, wie sie wohl nur in Südamerika anzutreffen ist: den Schrein des Gaucho Gil. Er ist gewissermaßen das männliche Gegenstück zur Difunta Correa. Antonio Gil war so etwas wie der Robin Hood Argentiniens. Er bestahl die Reichen und beschenkte die Armen. Aber der rachedürstende Arm des Gesetzes erreichte ihn schließlich doch und richtete ihn. Wie die Legende erzählt, soll er seinem Henker vor der Hinrichtung prophezeit haben, dass dessen Sohn todkrank sei, aber genesen würde, wenn ihm, Gil, ein christliches Begräbnis zuteil würde. Die Prophezeiung ging in Erfüllung und seitdem ist Gauchito Gil zumindest ein Volksheld, wenn nicht gar ein Heiliger, aber ohne den Segen der Kirche.

Die Argentinier verehren ihn und bitten mit Opfergaben an seinem Schrein um Wunder; wenn man den vielen Dankesplaketten glauben darf, mit Erfolg. Wir beobachten einen Vater, der seiner Tochter die hüftlangen Haare abschneidet, in eine Tüte packt und am Schrein niederlegt. Die junge Frau steht mit hängenden Schultern wie ein Opferlamm da, während die Mutter mit todernstem Gesicht zuschaut. Uns gruselt etwas bei dieser Veranstaltung und wir wenden uns ab, auch weil das ganze Umfeld des Schreins Jahrmarktcharakter hat. An Dutzenden von Ständen werden Votivgaben und Souvenirs verkauft werden. Besonders beliebt sind rote Tücher, das „Markenzeichen“ des Gehenkten. Nun wissen wir endlich, was die roten Fahnen an den unzähligen kleinen und großen Schreinen am Straßenrand zu bedeuten haben.

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Mercedes ist eine Gaucho-Stadt, nicht nur wegen Gil. Bei unserem Stadtbummel sehen wir mehrere Viehhirten in voller Montur, manche in der Ausgehkluft. In einem Anfall von Leichtsinn gehen wir dann noch zum Frisör, nach Kalifornien und Kolumbien das dritte Mal. Die Scherenakrobatin geht etwas zögerlich zu Werk und ich ermuntere sie „un poco mas corto“ (etwas kürzer). Das hätte ich nicht tun sollen. Zwei Minuten später habe ich einen Igelschnitt, den ersten seit meinen Kindertagen. Gut, dass bis zu meiner Rückkehr nach Hause noch 2 1/2 Monate vergehen. Wir trösten uns mit einem Essen in einem stilvollen Restaurant und übernachten zweckmäßig, aber nicht ruhig in einer Nebenstraße des Stadtzentrums.

Von Mercedes aus wollen wir nun in die Esteros del Ibera, ein mehrere hundert km langes Feuchtgebiet zwischen Rio Parana und Rio Uruguay. Eine 120 km lange, sehr holprige Piste führt zu einem vergleichsweise kleinen Naturreservat in dem Feuchtgebiet. Schon auf dem Weg dorthin können wir eine Vielzahl von Vögeln beobachten, u.a. verschiedene Storchenarten und Karakaras. Und zum ersten Mal laufen uns Capibaras (Wasserschweine) über den Weg, die sich blitzartig ins Wasser flüchten, wenn wir uns nähern. Sie werden bis zu 75 kg schwer und sind damit die größten Nagetiere der Welt.

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Auf der Piste treffen wir aber auch auf eine völlig andere Spezies, die in Argentinien nicht zu den bedrohten Arten gehört. Im Gegenteil! Ihre Population scheint auf unabsehbare Zeit gesichert, wenn nicht gar wachsend zu sein. Argentinien ist das Land mit der weltweit größten Verbreitung dieser Spezies überhaupt! Sie sehen aus wie Wesen aus einer früheren Welt und bevölkern kriechend Wege und Straßen. Ihr Gang ist schwer und der rostrote eisenharte Panzer scheppert bei jeder Bewegung. Das Herz poltert wie ein Dampfhammer und nach hinten stoßen sie giftige, schwarze Dämpfe aus, die alle Fressfeinde auf Abstand halten.  Zu erkennen ist das Ungetüm an einem spezifischen Merkmal an der Kopfseite: F O R D. Die meisten Wesen dieser Art, die wir angetroffen haben, waren noch im juvenilen Alter von ca. 30 Jahren. Nicht selten findet man aber auch ausgewachsene Exemplare zwischen 50 und 70 Jahren alt. Ihr Panzer hat im Laufe des langen Lebens viele Blessuren erlitten und ist entsprechend ramponiert. Der Bewegungsdrang ist altersgemäß verhalten und kommt in unregelmäßigen Abständen völlig zum Erliegen. Dann versammeln sich sofort mehrere Menschen, ausnahmslos männlichen Geschlechts, um das sieche Ungetüm, öffnen die vordere Panzerklappe und schauen nach, ob das Herz noch da ist. Es ist! Um sicher zu gehen legt sich schließlich ein Mensch unter das Ungetüm – mit gleichem Ergebnis: Das Herz ist immer noch da, will aber nicht schlagen. Dann greift regelmäßig eine tiefe und anhaltende Ratlosigkeit um sich, deren Ende wir in keinem der vielen Fälle abwarten konnten, denn unsere Reisezeit ist auf ein Jahr begrenzt.

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Im Reserva Nacional Ibera angekommen, beziehen wir für drei Tage den dortigen Campingplatz. Der ist wunderschön an einer Lagune gelegen und der gepflegteste, den wir seit den USA kennen gelernt haben. Unter einem riesigen Gummibaum finden wir Platz, nur umgeben von Schmetterlingen, Kolibris und anderen bunten Vögeln. Weitere Camper gibt es nicht.

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Gleich am nächsten Mittag starten wir zu sechst zur Bootstour durch das Sumpfgebiet. Unser Führer lenkt das Boot zu den schwimmenden Inseln, auf denen sich das hier heimische wildlife in großer Zahl tummelt: Er stellt den Motor ab und stakt ganz leise und so nah wie möglich an die Tiere heran. Wir sehen Sumpfhirsche und Capibaras, Störche und Reiher sowie Tschajas, Blatthühnchen und Eisvögel.

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Am aufregendsten sind für uns aber die Kaimane, die hier massenhaft vorkommen. Bis auf zwei Meter kommen wir an die Reptilien heran, was dann schon mal ein warnendes Fauchen bei ihnen auslöst. In der gegenwärtig kühlen Witterung sind sie besonders gut zu beobachten, denn sie nutzen die Mittagssonne, um ihre Körper aufzuwärmen.

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Von der Bootstour zurück, starten wir sofort zu einem Gang durch den angrenzenden Wald. Hoch in den Bäumen wohnen Brüllaffen, die als die lautesten Tiere überhaupt gelten. In den Urwäldern Mexikos und Guatemalas haben wir nur ihr Gebrüll wahrnehmen können; heute bekommen wir sie erstmalig nah zu Gesicht. Die Männchen sind fast schwarz, die Weibchen hingegen orange-braun. Mit Hilfe ihres Klammerschwanzes hangeln sie sich von Ast zu Ast auf der Suche nach den leckersten Früchten im Regenwald.

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Abends machen wir noch eine aufregende Bekanntschaft. Claire und Sebastien aus Frankreich sind angekommen. Sie sind in einem kleinen, selbst ausgebauten Camper mit ihren drei kleinen Jungs für ein 3/4 Jahr in Südamerika unterwegs; in Peru, Bolivien, Chile und Argentinien – Chapeau!!! Wir sind tief beeindruckt. Selten haben wir so gelassene Eltern und so fröhliche und ausgeglichene Kinder gesehen und wie uns Claire erzählt, waren die Kleinen in der ganzen Zeit nicht ein einziges mal krank.

Tags darauf unternehmen wir noch einen ausgedehnten Spaziergang durch das Feuchtgebiet, wobei wir neben vielen Capibaras und Vögeln noch Spießhirsche antreffen. Dann ist Sprechstunde. Claire, Krankenschwester von Beruf, hat sich bereit erklärt, mir die Fäden in meiner Kopfwunde zu ziehen. Dabei verwendet sie das medizinische Besteck, das mir ein Amerikaner in Mexiko geschenkt hat – warum auch immer. Manchmal fällt es mir richtig schwer, noch an so viele Zufälle zu glauben!

Im nur 2 km entfernten Dörfchen Colonia Carlos Pellegrini finden wir abends ein geöffnetes, sehr einfaches Restaurant. Die Wirtin erklärt, ohne nach unseren Wünschen zu fragen, sie werde uns schon etwas leckeres machen. Wir nutzen die Gelegenheit, ihren Mann nach dem Zustand der weiteren Piste durch das Feuchtgebiet nach Norden zu fragen, vor der wir mehrfach gewarnt wurden. Er meint, solange es nicht regnet müsste es gehen. Als dann auch noch ein Freund von ihm versichert, er sei die Strecke gerade erst gefahren, sind wir entschlossen, es zu riskieren. Das erspart uns nicht nur 120 km Holperpiste zurück, sondern auch einige 100 km Umweg und einen ganzen Tag Fahrt. Während des Essens bekommen wir auch noch einen Fahrgast. Charlotte aus Hamburg schneit herein und fragt, ob sie mitfahren könne. Natürlich kann sie. Morgen früh um 10 Uhr soll es losgehen, zum letzten ganz großen Highlight unserer Reise, den Wasserfällen des Rio Iguazu.

31. Mai 2010

39 Argentinien: Die Pampa

Filed under: 39 Argentinien: Die Pampa — vokobremen @ 20:56

15.4. – 28.4.2010  Die Fähre bringt uns von Feuerland über die Magellanstraße zurück in den Osten Patagoniens. Was nun kommt, ist mit Worten nur schwer zu beschreiben: die PAMPA – eine Halbwüste ungeheuren Ausmaßes. Sie schlägt in ihren Dimensionen alles, was wir bisher erlebt haben: die Tundra Kanadas, die Wüsten Namibias und Botswanas und das Outback Australiens. Etwa 4.000 km baumlose Wüste und Grassteppe liegen vor uns. Die Straße ist wie mit dem Lineal gezogen und endet als feiner Strich am Horizont. Mitunter reiten wir mehr als eine Stunde auf der Kante des Lineals bis die erste Biegung kommt, die aber nur aus einer Entfernung von einem Kilometer als solche zu erkennen ist. In dieser Endlosigkeit verliert sich der Blick; das Einzige was ihm Halt bietet sind die Zäune und deren Versorgungspfade für die Gauchos. Sie lassen die Straße fast wie eine Fluglandepiste aussehen.

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Die Nationalstraße 3 entlang der Ostküste Argentiniens ist das ultimative Erlebnis für hartgesottene Roadrunner. Außer einem leeren Tank, knurrenden Magen oder schmerzenden Rücken gibt es nichts, was das wochenlange, einsame Rollen über die glatte Teerdecke unterbricht. Entgegenkommende Trucks nimmt man wahr wie einen extrem verlangsamten Pulsschlag und wenn die Wolken nicht für ein Raumgefühl sorgen würden, könnte man glauben, die Erde sei eine Scheibe.

Langeweile, wie von anderen Reisenden berichtet, will sich bei uns aber nicht einstellen. Wir genießen dieses raum- und zeitlose Schweben im Nichts und schaffen uns einige zusätzliche Unterbrechungen, denn es gibt an der Ostküste verschiedene interessante Plätze, die wir besuchen wollen.

Der erste, allerdings ungeplante Stopp ist in Rio Gallegos. Wir sehen zufällig einen Autowäscher und beschließen, unser Häuschen vom Dreck der patagonischen Pisten befreien zu lassen. Dabei entdecke ich, dass die Motorabdeckung schon wieder herabhängt. Der Autowäscher weiß Rat. Es gibt etwa 10 km entfernt eine Fiat-Werkstatt. Ehrensache, dass er mit seinem Auto vor uns herfährt, damit wir den Weg nicht verfehlen. In der Werkstatt überredet er den Chef, unser Auto noch heute Abend zu reparieren. Zwei Mechaniker machen sich sofort an die Arbeit und nach gut einer Stunde ist die Motorschutzwanne wieder fest. Wir fragen nach der Rechnung. „Nada“ (nichts) ist die Antwort. Wir könnten den chicos (Jungen) ja ein kleines Trinkgeld geben. Aber selbst die zieren sich, unseren Dankbarkeitsobulus anzunehmen. Und da es bereits Nacht ist, dürfen wir auf dem Werkstattgelände sogar campen. Die chicos fragen uns noch, ob sie das Auto fotografieren dürfen. Der neue Fiat-Ducato ist in Südamerika noch nicht bekannt, als Camper und mit deutschem Kennzeichen schon gar nicht. Deshalb muss der Chef auch mit aufs Bild.

Der Versuch, uns dergleichen in einer deutschen Werkstatt vorzustellen, wo selbst das kleinste Schräubchen zu völlig überhöhten Preisen abgerechnet wird, scheitert kläglich. Richtig beeindruckt von der argentinischen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft verabschieden wir uns morgens beim Inhaber der Werkstatt mit der besten Flasche aus unserem mobilen Weinkeller und kehren zurück in die Pampa.

Entlang der Ruta 3 grasen kleine Herden von Guanakos, die immer dann wenn wir anhalten, mit eleganten Sprüngen über die Zäune setzen und davon galoppieren. Wir hatten nicht damit gerechnet, so viele Exemplare dieser angeblich gefährdeten Tierart zu sehen; darunter leider auch sehr viele tote Tiere am Straßenrand, die, im Scheinwerferlicht der Trucks orientierungslos geworden, nachts überfahren werden.

Nach nur 200 km Fahrt stehen wir an der Rangerstation des Parque Nacional Monte Leon. Die gute Nachricht zuerst: Von der 70.000 Paare zählenden Kolonie der Magellan-Pinguine befindet sich noch etwa ein Viertel an ihren Brutstätten. Die schlechte Nachricht: Der Park ist wegen der Winterpause nur noch tagsüber geöffnet. Wir sind tief enttäuscht, hatten wir uns doch so sehr darauf gefreut, direkt am Meer bei den Pinguinen und Seelöwen campieren zu können. Völlig frustriert schlagen wir das Angebot des Rangers aus, an seiner Station zu übernachten und fahren in den Nationalpark. Ein knapp einstündiger Fußmarsch bringt uns zu der Pinguinkolonie. Noch nie haben wir die witzigen Frackträger in solcher Zahl und so nah dabei beobachten können, wie sie sich putzen, ihre Jungen versorgen oder mit gerecktem Hals und flatternden Stummelflügeln laute Schreie ausstoßen, die dem Iaah eines Esels sehr ähnlich sind. Und als dann auch noch der Regen aufhört und wir im Sonnenschein allein zwischen den Pingus auf der Klippe sitzen, sind wir einigermaßen versöhnt. Die jungen Pinguine, erkennbar an ihrem braunen Federkleid, sind inzwischen größer als ihre Eltern, werden aber immer noch gefüttert. Erst wenn sie kräftig genug sind, um die lange Winterzeit im offenen Meer zu überstehen, brechen die Pinguine auf in ihr Winterquartier vor der brasilianischen Küste.

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Doch die Natur ist nicht nur niedlich. Überall liegen tote Tiere herum. Unsere Vermutung, dass Pumas dafür verantwortlich sind, wird später von den Rangern bestätigt. Die Puma-Mütter bringen ihren Jungen derzeit das Jagen bei. Pinguine, die an Land ziemlich hilflos sind, eignen sich dafür bestens. Aber auch für uns sind die Raubkatzen nicht ohne Risiko. Schilder am Pfad weisen auf die Gefahren hin und geben Verhaltensregeln an, um Unfälle zu vermeiden. Auf dem Rückweg trabt eine Herde Guanakos vor uns her, die Pumas aber bekommen wir wieder nicht zu Gesicht, sie jagen nur bei Nacht.

Wir verbringen die Nacht auf einem Sportplatz in Comandante. Luis Piedra Buena am Rio Santa Cruz und fahren weiter auf der Ruta 3 nach Norden. In Puerto San Julian biegen wir ab. Das Hafenstädtchen wurde von Ferdinand Magellan auf seiner ersten Weltumseglung angelaufen, worauf eine Replik seines Schiffes Nao Victoria noch heute hinweist. Es ist auch der Ort, wo Magellan Meuterer seines Schiffes hat hängen lassen.

Von Puerto San Julian aus gibt es eine kleine Sandpiste nach Norden am Meer entlang, eine der wenigen Gelegenheiten, der eingezäunten Nationalstraße 3 zu entkommen und an den Atlantik zu gelangen. Hier gibt es dann freie Campmöglichkeiten in Hülle und Fülle – am Strand, auf den Klippen, unter Felsüberhängen oder in Buchten; Delfine, Pinguine und Seelöwen inklusive. Und da in Argentinien keine Ferienzeit ist, sind wir meist allein. Wir bleiben gleich zwei Tage.

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Nur 180 km weiter nördlich biegen wir von der N 3 ab auf eine 50 km lange, raue Schotterpiste zum nächsten Naturwunder, den versteinerten Wäldern im Reserva Natural Bosques Petrificados. Wir campen kurz vor der Parkgrenze mitten in der Pampa und erleben eine der kältesten Nächte in Südamerika. Bis 0° fällt das Thermometer; es wird Zeit, dass wir nach Norden kommen.

Bei Nieselregen starten wir morgens zum Rundgang durch den versteinerten Wald. Der ist wirklich beeindruckend. Bis zu 2 m Durchmesser haben die Stämme der Araukarien, die vor 150 Mio. Jahren unter einer Decke von Vulkanasche begraben wurden und langsam versteinerten. Dabei lagern sich gelöste Mineralien in den Hohlräumen des Holzes ab und ersetzen allmählich das vermodernde Holz. Durch die Erosion sind die Stämme inzwischen freigelegt und so gut erhalten, dass sie an den Bruchstellen aussehen wie frisch geschlagenes und gespaltenes Holz, durch die Mineralien nur viel bunter.

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Das Stein gewordene Holz bricht bei Erdbewegungen wie Glas und hinterlässt glatte, geschliffen wirkende Flächen. Hebt man ein Stück auf, ist man jedes Mal von dem enormen Gewicht überrascht. Der ganze Park ist übersät von den versteinerten Fragmenten der riesigen Urwälder, die untergingen, noch bevor die Anden aufgefaltet wurden. Und in der Ferne reihen sich die erodierten Reste der einstigen Aschedecke als schwarze Tafelberge am Horizont auf.

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Über die Schotterpiste hoppeln wir zurück auf die Ruta 3. Unser nächstes Ziel, die Halbinsel Valdez, ist noch 800 km entfernt. Zwei Übernachtungen später, einmal an der Küste, das zweite Mal irgendwo in der Pampa, sind wir auf Valdez. Die Halbinsel gehört zum Pflichtprogramm jedes Patagonien-Reisenden. Sie ist Nationalpark und beherbergt an ihrer 400 km langen Küste jede Menge wildlife. Freies Campen ist aber nicht erlaubt. Der einzige kommunale Campingplatz scheint uns auch nicht verlockend. Doch dann sehen wir noch vor dem Parkeingang einen Sandweg, der an der Küste entlang führt und nicht mal in der Karte verzeichnet ist. Nach 2 km haben wir unseren Stellplatz: allein auf einer Klippe, mit Blick in den Golfo Nuevo und aufs offene Meer – na bitte! Genau in dieser riesigen Bucht sammeln sich in der Zeit zwischen Juni und Dezember tausende von Walen zur Paarung. Wie wir aus Berichten anderer Reisender wissen, muss es ein unvergessliches Erlebnis sein, die gewaltigen Meeressäuger bei ihrem Liebesspiel zu beobachten. Wir sind leider ein paar Monate zu früh dran aber anders hätte es sich auch nicht einrichten lassen. Unser Camp wäre auf jeden Fall ein Logenplatz gewesen. So müssen wir uns mit einigen Delfinen begnügen und Barbara kann ihre Morgengymnastik vor exklusiver Kulisse durchführen.

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Endlich kommen wir in den Park. Die erste Überraschung: Neben vielen Guanakos gibt es hier auch Schafe – und Zäune! Der größte Teil des „Nationalparks“ wird von Schaffarmen eingenommen. An der Ostküste der Halbinsel kommen wir dann zu den eigentlichen Attraktionen: Zuerst eine Seeelefantenkolonie, die man über einen 1 1/2 km langen Fußpfad erreicht. Die massigen Tiere räkeln sich träge auf einer Kiesbank, sind aber so weit entfernt, dass man Einzelheiten nur mit dem Fernglas erkennt. Zu unserer Freude laufen uns bei dieser Gelegenheit ein paar Gürteltiere über den Weg. Es ist das einzige Mal, dass wir sie so nah sehen. Nicht weit entfernt dann eine Kolonie Magellanpinguine, und schließlich an der Nordspitze einige Seelöwen im Wasser. Die Robben stehen auf dem Speiseplan der Orcas (Killerwale), von denen wir hier auch einige mit dem Fernglas beobachten können.

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Etwa 250 km Sandpiste müssen wir für dieses Programm zurücklegen, wobei wir uns auch noch den dritten Steinschlag in der Frontscheibe einfangen. Erst bei Dunkelheit steuern wir den kommunalen Campingplatz von Puerto Piramides an. Der ist wegen Saisonende geschlossen und ziemlich heruntergekommen. Und die einzige offene Dusche funktioniert auch nicht. Unsere Vorliebe fürs freie Campen erhält neuen Auftrieb. Wir stellen uns irgendwo zum Schlafen hin und verlassen den ungastlichen Ort schon vor dem Frühstück.

Insgesamt war Valdez für uns etwas enttäuschend. Gerne hätten wir die Wale gesehen, doch die sind noch weit weg.  Ansonsten gab es außer den Gürteltieren nichts, was wir nicht schon besser gesehen hätten und die Campmöglichkeiten sind auch miserabel.

In Puerto Madryn machen wir uns auf die Suche nach einer Werkstatt für unsere Windschutzscheibe. Von einem Autohändler erfahren wir dann, dass der einzige Scheibenreparateur beim Fischen auf See ist  und es keinen Zweck hat, zu warten. Die Sonne scheint und es ist angenehm warm – endlich. Vor zwei Tagen waren wir noch an der Frostgrenze. Also gehen wir in ein hübsches Strandcafe und holen unser Frühstück nach. Dabei beschließen wir, noch die Iguazu Fälle im Dreiländereck Argentinien-Brasilien-Paraguay zu besuchen und dann über Brasilien und Uruguay nach Buenos Aires zurückzufahren. Auf geht’s!

Nach 250 km Pampa – was sonst – biegen wir in der Hoffnung auf ein hübsches Plätzchen am Meer nach Las Grutas ab. Obwohl das malerisch an der Bahia San Antonio liegende Seebad nach der Saison wie ausgestorben ist, gibt es im Ort keine Möglichkeit zu campen. Wir versuchen es auf einer Sandpiste, die am Meer entlang aus dem Städtchen herausführt – zunächst wenig Erfolg versprechend, denn hier wohnen die Ärmsten der Armen in erbärmlichen Hütten. Doch nach 3 Kilometern kommen wir an einen Strand mit einigen Fischerbooten, zwei Traktoren und ein paar leer stehenden Verkaufsständen für Meeresfrüchte. Wir fragen zwei Fischer, ob wir uns dazu stellen können. Natürlich können wir. Es sei schön hier, und ruhig, meinen die beiden. Das finden wir auch und platzieren uns mit Blick auf die Boote und das Meer – Häuschen mit Aussicht sozusagen. Beim Abendspaziergang kommen wir dann an die bunten Felsen am Wasser, die dem Strand seinen Namen gaben: Playa Colorada.

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Am nächsten Tag gehen wir in Las Grutas einkaufen, denn wir wollen noch einen Tag bleiben. Gegen Mittag starten wir zu einem längeren Strandspaziergang. Der ist an sich schon herrlich, doch als wir in der Ferne viele rote Punkte sehen, hüpft unser Herz höher: Flamingos – in Massen! Sie stehen auf einem Bein, putzen ihr Gefieder oder stochern im Schlamm nach Nahrung. Und immer wenn wir zu nahe kommen, flüchten sie ins Wasser, um sich schließlich mit kräftigen Flügel- und Beinschlägen in die Lüfte zu erheben und in langen Reihen übers Meer davon zu fliegen. Über eine Stunde genießen wir dieses wunderbare Schauspiel, bevor wir den Rückweg antreten.

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Auch bei den Fischern am Strand wird uns nicht langweilig. Die Boote, die am Morgen zum Fang ausgelaufen sind, kommen nach und nach zurück. Mit liebevoll bemalten Uralt-Traktoren werden sie auf rostigen Trailern aus dem Meer geschleppt. Die Zugmaschinen stehen dabei bis über die Achsen im Wasser. Barbara spricht einen Fischer an: Wie der Fang war und ob er uns einen Fisch verkaufen könne? Claro! Und schon trägt sie einen 3 kg schweren Salmon Blanco (Weißer Lachs) nach Hause – für unseren kleinen Hunger eine Zwei-Tages-Aufgabe.

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Mit einem Strandspaziergang verabschieden wir uns am Morgen schweren Herzens von diesem Platz, der uns so gut beherbergt hat. Aber die Iguazu-Fälle ziehen schon mächtig. Wir verlassen die Ruta 3 und biegen ab auf die 251, aber die Pampa bleibt. Die beginnt allmählich etwas grüner zu werden, aber nicht abwechslungsreicher. Die Straße führt von nun an mit wenigen Knicken schnurgerade nach Norden, manchmal bis zu 80 km, bevor die erste, kaum wahrnehmbare Biegung kommt. Wir überqueren den Rio Colorado und überschreiten damit auch die Grenze zur nächsten Provinz, und die heißt: La Pampa! Bedeutet das vielleicht, dass nach 2.100 km Pampa jetzt Pampissima kommt? Wir sind gespannt.

Mit der Provinz Rio Negro haben wir nun auch Patagonien hinter uns gelassen. Einen Monat waren wir in diesem weiten und rauen Land unterwegs, das einzigartige Naturwunder zu bieten hat, uns unbeschwertes Reisen in den einsamsten Gegenden Südamerikas ermöglichte und wo wir immer wieder auf interessante und charmante Orte und Menschen trafen. Patagonien hat uns ähnlich begeistert wie Nordkanada und Alaska.

Kurz vor Santa Rosa besuchen wir den Parque Provincial Pedro Luro. Der feine Herr Luro hatte sich Anfang des 20. Jhd. hier ein riesiges Jagdrevier mit castillo (Schlösschen) geschaffen, um mit seinen Gästen zusammen seiner Jagdleidenschaft frönen zu können. Zu diesem Zweck hat er Rotwild und Wildschweine aus Europa eingeführt, die bis heute hier heimisch sind. Er ließ auch eine Eisenbahn von Buenos Aires hierher bauen, damit die illustre Jagdgesellschaft das Revier komfortabel erreichen konnte.

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Wir schauen uns das castillo an: Feinster Jugendstil und Art Deco, die erlesene Einrichtung aus Europa importiert, alle Schlaf und Gästezimmer mit feudalen Bädern ausgestattet und eine Zentralheizung neuester Bauart – und das mitten in der Wildnis. Nach dem 1. Weltkrieg ging Don Pedro Luro Pleite und soll verarmt gestorben sein. Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Heute ist das Gelände im Besitz der Provinz und das castillo ein Museum, in dem leider nicht fotografiert werden darf.

In Santa Rosa versuchen wir erneut einen Glasreparateur zu finden – erfolglos – und beschließen, hier zu übernachten. Der städtische Campingplatz liegt an einer lauten Straße und macht keinen übermäßig einladenden Eindruck. Doch es gibt einen See am Stadtrand, wo wir fündig werden: Ein ruhiges und warmes Plätzchen allein am Ufer, jede Menge Vögel auf dem Wasser und abends einen der spektakulärsten Sonnenuntergänge der gesamten Reise. Der Himmel brennt förmlich in flammendem Gelb, eingehüllt in purpurfarbene Wolken, die sich im unruhigen Wasser spiegelnd auflösen. Dann reißt der Wind blaue Löcher in die rote Feuerwand, die kurz darauf im Grau der Dämmerung erlischt und dem Sternenhimmel Platz macht. Dies sind die Momente, die das Reiseglück ausmachen!

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20. Mai 2010

38 Feuerland: Das Ende der Welt

Filed under: 38 Feuerland — vokobremen @ 02:59

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9.4. – 15.4.2010:  Die Fähre über die Magellanstraße braucht noch nicht einmal eine halbe Stunde, dann sind wir in Tierra del Fuego, wie ein Schild unübersehbar beweist. Feuerland ist die Hauptinsel eines Archipels, das durch die Magellanstraße vom argentinischen und chilenischen Festland getrennt ist. Der Seeweg wurde nach seinem Entdecker und ersten Weltumsegler Ferdinand Magellan benannt, auf den auch der Name Feuerlands zurückgeht. Er hatte bei der Durchfahrt die Lagerfeuer der Ureinwohner  entdeckt und die Insel deshalb Tierra del Humo (Land des Rauchs) genannt. Wie die Legende erzählt, soll der spanische König Carlos V daraus scharfsinnig geschlossen haben, dass wo Rauch ist, auch Feuer sein müsse und das Land daraufhin Tierra del Fuego getauft haben.

Nicht zu Unrecht, wie wir kurz darauf feststellen: Aus einem kleinen Teich schlagen Flammen hoch in die Luft und lassen das Wasser unter sich brodeln. Aber es sind nicht die Lagerfeuer der inzwischen ausgestorbenen Ona-Indianer, sondern nicht verwertbare Reste der Erdgasförderung, die hier abgefackelt werden.

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Das Landschaftsbild ist geprägt von den Gasgesellschaften und den großen Schaffarmen. Noch 43 km Teerstraße sind uns vergönnt, dann beginnt erneut eine 120 km lange Schotterpiste. Sie ist holprig und voller tiefer Löcher. Die Chilenen haben kein großes Interesse an ihrer Erhaltung, denn sie dient nur als Durchgangsstraße zum argentinischen Teil Feuerlands. Wir balancieren an ihrem äußersten Rand entlang, um den schlimmsten Löchern in der Mitte zu entgehen. Ein schwer beladener LKW ist vor uns bei diesem Drahtseilakt abgekommen und wartet auf seine Bergung.

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Mit der Grenze nach Argentinien ist auch das Ende der Schotterpiste erreicht. Die Grenzformalitäten sind inzwischen reine Routine und dauern kaum eine Viertelstunde. 300 km glatte Teerstraße sind es noch, unterbrochen durch eine Übernachtung am Atlantik, dann sind wir am Ziel: USHUAIA! La ciudad mas austral del mundo – die südlichste Stadt der Welt. Mehr als ein dreiviertel Jahr haben wir auf diesen Moment gewartet, oft gezweifelt, ob wir jemals hierher kommen würden und doch immer wieder daran geglaubt. Jetzt stehen wir vor dem Ortsschild und können es noch nicht so recht fassen.

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Etwas ratlos, wie wir mit der Situation umgehen sollen, fahren wir in die Stadt und gehen Kaffee trinken, in einem schönen Cafe mit dem für uns vertraut klingenden Namen Tante Sara. Zum ersten Mal beziehen wir in Argentinien einen richtigen Campingplatz, denn der ist schön gelegen und außerdem wollen wir mal wieder ausgiebig und heiß duschen. Die kleine private Feier wird verschoben, denn nachdem die Anspannung der letzten Zeit von uns abgefallen ist, stellt sich eine große Müdigkeit ein und wir verlassen unser Häuschen abends nicht mehr.

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Nach ausgedehntem Sonntagsfrühstück machen wir uns noch einmal auf den Weg. Die letzten 20 km bis zum Ende der Welt führen durch den Nationalpark Tierra del Fuego. Die schmale Piste endet an einem Parkplatz, wo ein Schild das Ende der Ruta 3 und damit der Panamericana markiert. 52.270 km haben wir gebraucht um die „Traumstraße der Welt“ von Prudhoe Bay im äußersten Norden Alaskas bis zur Bahia Lapataia im äußersten Süden Feuerlands zu fahren – von der Arktis zur Antarktis. Jetzt schließt sich der Kreis: Wir sind durch die Tundra Kanadas gefahren, haben den nördlichen Polarkreis überquert und die schneebedeckten Berge der Rocky Mountains erlebt. Durch die Wüsten der USA und Mexikos sind wir in die Tropenzonen Kolumbiens und Ecuadors gelangt und haben den Äquator überquert. Dann wieder Wüsten in Peru und Chile, die gewaltigen Berge und Gletscher der Anden und über den südlichen Polarkreis in die Pampa Patagoniens und Feuerlands. Südamerika ist gewissermaßen das Spiegelbild von Nordamerika und doch völlig anders. Ein bisschen wehmütig schauen wir zurück auf diese wunderbare, aufregende und erfüllende Reise, die nun ein vorläufiges Ziel gefunden hat.

Wir laufen das kurze Stück bis ans Wasser. Über die Bucht von Lapataia können wir auf den Beagle-Kanal schauen. Dahinter kommen noch ein paar Inseln und dann nichts mehr – bis zur Antarktis, dem einzigen Kontinent, den wir noch nicht bereist haben. Und der ist nicht mehr sehr weit weg. Die Entfernung wäre über Land mit dem Auto in 2 Tagen zu schaffen. Doch diesmal sind wir zu spät dran; die Saison ist vorbei und es gibt keine Schiffstouren mehr.

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Eine Weile blicken wir nach Süden zum Ende der Welt und stellen uns vor, wie es dort aussieht. So wie am Perito Moreno? Nur viel, viel größer? Schließlich reißen wir uns los, fahren zum Lago Roca und laufen am Ufer entlang durch den Wald. Das macht den Kopf frei für neue Gedanken und Ziele. Die Nacht verbringen wir im Nationalpark auf einer Wiese am Fluss. Wo sich die Camper zur Weihnachtszeit, also im Hochsommer, drängeln, sind wir jetzt mit zwei jungen Amerikanern, Füchsen und Caracaras allein; nur die Biber lassen sich nicht sehen. Auch nicht am nächsten Tag, als wir zu einer Stelle laufen, wo große Biberdämme den Fluss gestaut haben und hunderte von abgestorbenen Bäumen von den heftigen Aktivitäten der Nager zeugen. Eigentlich gehören diese Tiere nicht hierher, wurden aber Anfang des 20. Jhd. aus Nordamerika eingeführt. Sie vermehren sich so stark, dass sie eine Bedrohung der hiesigen Fauna darstellen und ihre Bestände deshalb kontrolliert werden.

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Noch einen Tag bleiben wir in Ushuaia. Im (laut Lonely Planet) besten Restaurant mit Blick über die Stadt holen wir unsere kleine Ankunftsfeier nach, mit Ceviche vom Tunfisch, King Crab, Merluza Negra und Crepe nach Art des Hauses, dazu einen argentinischen Chardonnay – ein dem Anlass angemessenes Menü. Beim Stadtbummel am Nachmittag erinnern uns Massen von Kaiserpinguinen in den Schaufenstern an die verpasste Antarktistour. Aber wer weiß – vielleicht, eines Tages … Wir kehren noch einmal bei Tante Sara ein, wo man am Fenster sitzend dem Treiben auf der Hauptstraße zusehen kann. Es geht gemütlich zu in der Stadt, denn die Saison ist vorbei und der Winter steht vor der Tür. Doch wir brauchen nicht mal eine Jacke. Die Sonne strahlt vom blauen Himmel und macht uns den Abschied schwer. Aber getreu dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ machen wir uns auf denselben.

Jetzt nehmen wir auch die herbstbunten Wälder war, für die wir bei der Anfahrt auf Ushuaia keinen rechten Blick hatten. Die Lenga-Südbuchen sind gelb bis knallrot, was vor den weiß gefleckten, kahlen Bergen zauberhaft aussieht. Es erinnert uns sehr an den farbenprächtigen Indian Summer, den wir in Alaska erlebt hatten. Fast zwei Stunden fahren wir durch diese Landschaft, bis wir am Lago Fagnano ein hübsches Plätzchen für die Nacht finden.

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Ein letztes Mal müssen wir am nächsten Tag nach Chile einreisen und sind damit zurück auf der Schotterpiste. Noch eine Nacht in Gesellschaft von Guanacos an einer verlassenen Gasförderanlage und wir stehen wieder an der Fähre über die Magellanstraße. Feuerland liegt hinter uns, ein Land, das keine der großen Naturwunder aufzuweisen hat, aber mit seiner kargen, fast mystischen Landschaft verzaubert und viele Emotionen weckt. Von nun an geht es immer nur nach Norden, in wärmere Gefilde, bis in die Subtropen. Brasilien heißt unser nächstes Reiseziel.

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Barbara zu Bruce Chatwin und Francisco Coloane

Patagonia is the farthest place to which man walked from his place of origins. It is therefore a symbol of his restlessness. From its discovery it had the effect on the imagination something like the Moon, but in my opinion more powerful“ (Bruce Chatwin).

Obwohl schon über 30 Jahre alt, ist Bruce Chatwins Buch In Patagonia noch immer die „Bibel“ vieler, die Patagonien bereisen. Es ist ein faszinierendes Kaleidoskop aus knappen, klaren Beschreibungen dieser weiten kargen Landschaft, aus zum Teil amüsanten Berichten aus der Lokalhistorie, weniger amüsanten Schilderungen über die brutale Eroberung des Landes, der Ausrottung von Menschen und der Zerstörung der Natur. Seine These, dass dieses extreme Land extreme Menschen anzieht untermauert er mit einer Vielzahl von skurrilen Geschichten, die er immer wieder von Sonderlingen während seines 6-monatigen Aufenthalts erfährt. Er sagt, dass er nie nach Geschichten suchen musste, die Geschichten kamen auf ihn zu. Dass es sich dabei um eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit handelt, tut dem Lesegenuss keinen Abbruch. Und dass viele seiner Themen vermarktet sind, beeinträchtigt eine Patagonien- und Feuerlandreise keineswegs – es gibt immer noch genug zu entdecken!

In Patagonia, the isolation makes it easy to exaggerate the person you are: the drinker drinks; the devout prays; the lonely grows lonelier, sometimes fatally.“ (aus dem Vorwort von In Patagonia)

Genau um dieses Thema geht es auch bei Francisco Coloane, einem chilenischen Schriftsteller aus Chiloe, der 1964 mit dem nationalen chilenischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Er starb 2002, im Alter von 92 Jahren.

Ich habe eine englische Übersetzung einiger seiner Kurzgeschichten in der Reisebibliothek: CAPE HORN and Other Stories from the End of the World.

Es sind kraftvoll geschriebene Geschichten, in der Hauptsache Männergeschichten, die in der lebensfeindlichen Welt Feuerlands spielen. Es geht um das Leben und Überleben in dieser rauen Einsamkeit. Es geht um Träume und Fantasien, um die tiefen Abgründe der menschlichen Seele. Auch ein Anteil Mystik ist dabei, die diese Landschaft heraufbeschwört. Und immer wieder der Mensch im Verhältnis zur Natur, die Natur im Verhältnis zum Menschen, mal zerstörerisch, mal im Einklang.

Volker hat oben erwähnt, dass sich der Kreis unserer Reise in gewisser Weise geschlossen hat.  Die Geschichten Coloanes haben mich an Jack Londons Erzählungen aus dem Yukon, Kanada erinnert, nur sind sie karger und weniger sentimental.

(Das Original ist natürlich auf spanisch, bei Amazon aber sehr teuer! Es gibt englische und deutsche Übersetzungen)

15. Mai 2010

37 Patagonien: Fitz Roy – Perito Moreno – Torres del Paine – Glaciar Grey

Filed under: 37 Patagonien — vokobremen @ 21:49

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2.4. – 9.4.2010:  Hinter Tres Lagos verlassen wir die Ruta 40 vorerst und biegen auf die N 23 ab, die am Lago Viedma entlang nach El Chalten führt. Dem See schenken wir im Moment aber keine Aufmerksamkeit. Unser Blick richtet sich, kaum dass wir die N 23 erreicht haben, gebannt auf eine schneebedeckte Bergkette in 100 km Entfernung. Unter den zahlreichen Gipfeln des Massivs, die wie Sägezähne in den Himmel ragen, versuchen wir den Monte Fitz Roy zu erkennen, das Ziel unseres Abstechers. Schnell haben wir ihn ausgemacht und verlieren ihn fortan nicht mehr aus den Augen. Denn die Straße läuft 90 km lang in der Ebene direkt auf ihn zu. Es ist faszinierend, zu erleben, wie der Berg während der Fahrt ganz langsam auf uns zukommt, dabei immer imposanter wird und schließlich in seiner ganzen Größe vor uns steht, als wir in El Chalten ankommen.

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Dort müssen wir uns aber erst anderen Dingen zuwenden. Die untere Motorabdeckung hat die Ruta 40 nicht schadlos überstanden und hängt herunter. Von zwei Engländern, die ebenfalls einen Schaden an ihrem Wagen hatten, haben wir unterwegs die Adresse eines Mechanikers in der Stadt bekommen. Wir rechnen uns kaum Chancen aus, denn heute ist Karfreitag. Doch der mecanico ist in seiner Werkstatt. Nachdem wir ihm unser Problem geschildert haben, raucht er seine Zigarette zu Ende, bockt unseren Wagen auf der Straße hoch und liegt kurz darauf selbst darunter. Eine knappe Stunde später ist die Abdeckung wieder fest und wir können uns auf den Weg in die Stadt machen. Nach dem Essen in einem gemütlichen Resto ist unser vorher ausgespähter, einsamer Nachtplatz am Fluss aber schon von zwei deutschen Campern bevölkert. Ein Landrover und wieder ein 7,5-Tonner Mercedes-Truck. Dessen Besitzer, Roland und Barbara, laden uns dann noch in ihr deutlich geräumigeres rollendes Heim zum Wein ein – unsere Landsleute sind wirklich ein reisefreudiges Völkchen!

El Chalten ist ein beliebter Wintersportort und verfügt deshalb über eine entsprechende touristische Infrastruktur. Zur Zeit, also selbst an den Ostertagen, geht es aber angenehm ruhig in der Stadt zu, denn es ist Nebensaison und die Argentinier haben keine Ferien. Wir nutzen die Gelegenheit, um die Wäsche waschen zu lassen und in einem Tankstellencafe mit Internet unseren neuen Reisebericht hochzuladen. Der Rest des Tages ist ausgefüllt mit einer Fahrt zum Lago del Desierto, 40 km nördlich von Chalten. Der Gletschersee ist nicht so spektakulär wie erwartet und die Piste sehr schlecht. Sie führt aber so dicht am Mt. Fitz Roy vorbei, dass man seinen pyramidenförmigen Gipfel aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann.

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Die Gegend ist eigentlich etwas für passionierte Wanderer oder Bergsteiger der Spitzenklasse, denn der Monte Fitz Roy gilt als einer der anspruchsvollsten Gipfel der Welt. So beschränken wir uns auf einige kleinere walks u. a. zu einem Wasserfall und kehren am Nachmittag zurück auf unseren Platz am Fluss.

Bei der Rückfahrt zur Ruta 40 am folgenden Tag steht die Morgensonne voll auf dem Talkessel in den sich El Chalten schmiegt. Darüber thront mit einem Wattebausch um den Gipfel der Monte Fitz Roy. Es wird ein würdiges Abschiedsfoto von diesem außergewöhnlichen Berg.

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Jetzt haben wir endlich auch Augen für den Lago Viedma. Gegenüber am anderen Ufer erkennen wir in 20 km Entfernung mit bloßen Augen den Viedma-Gletscher; schade, dass man dort nicht hinkommt. Doch wir sind nicht wirklich traurig, denn wir befinden uns auf dem Weg zum König der Gletscher – dem Perito Moreno! Über die Ruta 40 und die N 11 umfahren wir den riesigen Lago Argentina und stehen nach fast 300 km Pampa am Ende der Peninsula de Magallanes auf einer Klippe vor der gewaltigen Gletscherwand, die aus zwei Seitenarmen des Lago Argentina 20 Stockwerke hoch emporragt – zum Greifen nah. Der Anblick ist überwältigend.

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Der Perito Moreno ist einer der zahlreichen Ausläufer des Campo de Hielo Sur (Südliches Eisfeld). Es ist mit 13.500 qkm fast so groß wie Schleswig Holstein und damit das drittgrößte zusammenhängende Eisfeld der Welt – nach der Antarktis und Grönland. Der Gletscher selbst ist 30 km lang, 5 km breit und 60 m hoch. Was ihn aber so außergewöhnlich macht ist, dass er im Gegensatz zu den meisten Gletschern der Erde nicht zurückgeht, sondern eher noch wächst. Bis zu 2 m pro Tag schiebt sich die Eiswand nach vorn und kalbt in kurzen Abständen in den Lago Argentino, wobei sie eine Vielzahl großer und kleiner Eisberge hinterlässt.

Sofort nach unserer Ankunft machen wir uns auf den Weg, um den Gletscher zu erkunden. Auf einem ausgedehnten Netz aus Stegen, die über ca. 100 Treppenstufen hinunter bis fast an den Fuß der Eisfront führen, können wir den Gletscher von allen Seiten und aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Der Perito Moreno ist aber nicht nur ein Erlebnis für die Augen, sondern auch für die Ohren. Pausenlos knackt, kracht und poltert es, wenn sich die Eismassen gegeneinander verschieben. Immer wieder brechen Eisbrocken aus der Gletscherwand, manchmal in der Größe eines Mehrfamilienhauses, und stürzen mit gewaltigem Getöse in den See. Es ist ein Spektakel gigantischen Ausmaßes.

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Bis in den Abend laufen wir über die Stege an der Wand entlang. Wir campen direkt über dem Gletscher mit Blick auf die Eiswand. Und als die letzten Besucher abgezogen sind, können wir von unserem einsamen Logenplatz aus zuschauen, wie das Eis in der untergehenden Sonne erst rötlich, dann blau wird und schließlich von der einbrechenden Dunkelheit langsam verschluckt wird. In der Nacht hören wir es mehrmals donnern, wie bei einem schweren Gewitter. Es müssen sich besonders große Brocken gelöst haben und herunter gekracht sein.

Kurz nach Sonnenaufgang sind wir wieder auf dem Steg. Es wird ein Erlebnis der exklusivsten Art, denn noch ist kein Besucher zu sehen. Bei bestem Wetter haben wir den Perito Moreno für 2 1/2 Stunden ganz für uns allein. Sogar der berüchtigte patagonische Wind hat extra für uns eine Pause eingelegt. In aller Ruhe können wir an der Eiswand entlang schlendern und dieses Naturschauspiel in Bild und Ton ungestört genießen. An verschiedenen Stellen erkennen wir deutliche Veränderungen zum Vortag. Es müssen hausgroße Eisbrocken gewesen sein, die heute Nacht in den See gestürzt sind.  Als die Sonne höher steigt und das bunte Herbstlaub sich besonders wirkungsvoll von dem leuchtend blauen Eis absetzt, kommt der erste Tourbus – für uns das Signal zu gehen. Mit wunderschönen Bildern im Kopf und auf der Speicherkarte der Kamera verabschieden wir uns von dem Gletscher und gehen ins Cafe gegenüber frühstücken.

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Wir müssen die N 11 wieder zurück, bevor wir auf der Ruta 40 weiter nach Süden fahren. In El Calafate, einem Touristenort, von dem aus die Touren zum Perito Moreno organisiert werden, kaufen wir nur ein und fahren sofort weiter. Wir wollen zur nächsten Attraktion in Patagonien, dem Nationalpark Torres del Paine. Doch vor dessen Genuss haben die Götter die Pampa gesetzt: tischebene Landschaft, kerzengerade Straßen und trockenes graubraunes Gras. Am schlimmsten aber sind die Zäune. Über hunderte von Kilometern ziehen sie sich im Abstand von 10-20 Metern beidseits der Straße entlang. Man hat das Gefühl, auf der Straße eingesperrt zu sein. Die Landschaft ist weggeschlossen – von den Großgrundbesitzern, die sich das Land vor Generationen auf äußerst fragwürdige Weise angeeignet haben. Während, wie man hört, die Tore früher meist offen standen, versperren nun Vorhängeschlösser den Weg ab von der Straße. Die Bevölkerung ist von ihrem Land ausgeschlossen. Ihr bleibt der Straßenrand. Die Herren wollen auf ihren estancias nicht gestört werden vom einfachen Volk. Von der Straße aus sind die Anwesen auch nicht zu sehen. Sie verstecken sich in der endlosen Weite dieser Besitztümer, die leicht die Größe des Saarlandes erreichen können. Und seit dort Öl gefunden wurde, sind die Herrschaften noch scheuer, die Schafe weniger und die Tore noch massiver geworden.

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Für uns bedeutet diese Zaunmanie, dass in der Pampa nur schwer Stellplätze zu finden sind, denn am Straßenrand wollen wir nicht nächtigen. Und Campingplätze gibt es auch nur selten. So dauert die Suche nach einem Nachtplatz manchmal etwas länger und endet mitunter unbefriedigend.

Der Weg zum Nationalpark wird noch dadurch verlängert, dass wir ein ungeteertes Stück der Ruta 40 über Esperanza umfahren, ein Umweg von 80 km. Kurz bevor wir an die Grenze kommen – der Nationalpark Torres del Paine liegt bereits wieder in Chile – finden wir eine Lücke im Zaun und stellen uns an den Waldrand.

Nachdem wir die chilenische Grenze mit den üblichen albernen Versteckspielchen um die Lebensmittel hinter uns haben, ändert sich die Landschaft schlagartig. Wir sind zurück in den Kordilleren. Am Straßenrand stehen viele Nandus, den Kopf immer im Gras auf der Suche nach Futter. Sie schauen nur kurz auf, wenn wir für ein Foto anhalten.

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Noch vor dem Nationalpark tauchen zwischen den Bergen drei Felskegel auf, die wegen ihrer Form Torres (Türme) del Paine genannt werden; davor in leuchtendem Türkis der Lago Amargo. Welch ein Kontrast zur gelben Pampa! Bei einem ausgiebigen lunch am Ufer des Sees saugen wir die Formen und Farben dieser Landschaft förmlich in uns auf.

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Die Nachmittagstour beschert uns noch den Cascada Paine, einen ungewöhnlichen Wasserfall, dessen Fluten an drei Seiten eines Felsplateaus herabstürzen. Vor Allem aber jede Menge Guanacos. In dieser Zahl und so nah haben wir sie zuvor noch nicht gesehen.

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Abends stehen wir dann vor einem Luxusproblem. An welchem der Top-Übernachtungsplätze sollen wir uns niederlassen? Am Wasserfall, am Lago Amargo oder oberhalb des Sees zwischen den Guanacos. Wegen Barbaras Wildlife-Leidenschaft entscheiden wir uns für letzteren und verbringen den Abend, umgeben von grasenden Guanacos, mit Blick über den grünen See auf die Torres del Paine. Damit sind wir für die Pampa und ihre Zäune mehr als entschädigt!

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In den eigentlichen Nationalpark fahren wir erst am Morgen. Schon bald tauchen hinter dem Lago Nordenskjold die Cuernos (Hörner) del Paine auf. Die Felsen erinnern in ihrer Gestalt wirklich an abgebrochene Stierhörner. Ihre markante Zeichnung entstand durch unterschiedliche Erosion des hellen Granit- und des fast schwarzen Sedimentgesteins. Bei einem kurzen walk zu einem Aussichtspunkt bekommen wir die Cuernos noch mal aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen. Dazu noch einen weiteren Wasserfall, den Salto Grande.

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Damit sind die Attraktionen des Nationalparks aber noch nicht ausgeschöpft. Nicht weit entfernt wartet noch der Glaciar Grey, der ebenso zu dem riesigen Südlichen Eisfeld gehört wie der Perito Moreno und wie dieser in einen See kalbt. Wir überlegen kurz, ob wir uns die 40 km Rüttelpiste hin und zurück noch zumuten wollen, aber die Neugier siegt. Wir erreichen den Lago Grey gerade noch rechtzeitig, um an einer dreistündigen Bootsfahrt zum Gletscher teilnehmen zu können. Hoffentlich wird das nach dem Perito Moreno keine Enttäuschung! Wird es nicht, es wird eine Offenbarung! In dem schmalen, aber langen See nähert sich das Boot bei strahlendem Sonnenschein langsam dem Eisfeld. Schon von weitem erkennt man den Gletscher, der sich an einem Felsen teilt und in zwei Zungen in den See schiebt.

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Der Glaciar Grey ist 4 km breit und an seiner Vorderseite mehr als 30 m hoch. Die Eisfront wirkt aus der Ferne zunächst aber enttäuschend klein. Als wir näher kommen, scheint sie förmlich aus dem See zu wachsen. Details werden sichtbar und schließlich löst sich die geschlossene Wand auf in tausende von Säulen, Platten, Schollen und Nadeln. Der Skipper navigiert das Boot dicht unter den Gletscher, sodass die 30 m hohen Türme aus blauem Eis sich vor uns aufrichten wie Hochhäuser in einer Straßenschlucht.

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Eine Stunde fahren wir an beiden Teilen des Gletschers entlang, bis das Boot abdreht und Kurs auf den Anlegeplatz nimmt. Den Pisco Sour mit Gletschereis, den der Kapitän  serviert, können wir an Deck trinken, denn es ist ungewöhnlich warm für einen April in Patagonien. Und bei der Rückfahrt passieren wir die Eisberge, die der Glaciar Grey in den Lago Grey gekalbt hat.

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Rundum zufrieden kehren wir zu unseren Häuschen zurück. Was haben wir in den letzten Wochen für ein Glück gehabt! Trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit – es ist bereits tiefer Herbst in Patagonien – haben wir alle Highlights dieser Landschaft bei Traumwetter erleben dürfen; sonnige warme Tage statt Regen und Schnee, wie wir befürchtet hatten. Das Reiseglück bleibt uns treu.

Im Nationalpark darf man nicht wild campen. Also machen wir uns auf den Weg nach Süden in der Hoffnung einen Platz zu finden. Die Piste ist schlecht und beidseitig eingezäunt – schlechte Aussichten! Doch dann entdecken wir einen winzigen Schleichweg der von der Straße weg auf ein kleines Plateau führt. Treffer! Wir kommen noch rechtzeitig zum Sonnenuntergang über dem Lago del Toro, während links von uns die Cuernos herüber grüßen. Manchmal können wir es selbst nicht glauben, dass wir im Zaunland immer wieder solche Plätze finden.

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Vor Puerto Natales stoßen wir wieder auf eine Teerstraße. Wir fahren in die Stadt, Rundumversorgung ist angesagt. Dann bummeln wir durch die Straßen. Puerto Natales ist ein altes Hafenstädtchen, dessen bunt angestrichene Wellblech-Häuser ein entsprechendes Flair verbreiten. In einem netten Cafe gönnen wir uns eine mächtige Torte mit cafe cortado, kaufen wieder köstliche argentinische Schokolade ein und fahren weiter.

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300 km Pampa sind es noch auf der Ruta 40 und der N 255 bis Punta Delgada. Ein Schiffswrack, das am Ufer eines großen Gewässers vor sich hin rostet, kündigt den nahen Atlantik an und als wir auf der N 257 plötzlich vor einem Fähranleger stehen, wissen wir: Unser Ziel ist zum Greifen nah – am Ufer gegenüber liegt Feuerland.

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Barbara:

Antoine St-Exupery, Le Petit Prince und Patagonien.

Als ich 17 war, versuchte eine junge Assistenzlehrerin aus Frankreich unseren eher öden Französischunterricht mit der Lektüre Le Petit Prince etwas aufzupeppen. In der Schule musste man sich allerdings möglichst cool und uninteressiert zeigen. Aber zu Hause versuchte ich mich dem Text anzunähern (eine ziemliche Herausforderung für eine Anfängerin) und war heimlich hingerissen. Das kleine Kerlchen, das lernt, „nur mit dem Herzen zu sehen“, hat mich mein Leben lang begleitet. Aber dass ein großer Teil seiner Zwischenstation auf Erden in Patagonien war, ist mir entgangen.

Antoine St-Exupery war von 1929 bis 1931 Chef des Aeropostal Argentina. Seine Motive für den Kleinen Prinzen fand er beim Überfliegen dieser unendlich weiten, kargen Landschaft. Dass das Schaf immer wieder auftaucht wundert einen nicht. Den Fuchs, der den Kleinen Prinzen vorsichtig in die Geheimnisse der Freundschaft einführt, sieht man hier immer wieder mehr oder weniger scheu vorbei schleichen.

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Die Idee der ebenmäßigen Vulkankegel auf dem Asteroid B 612 hat Exupery wohl auf den Flügen nach Punta Arenas über Chile bekommen. Eine Illustration des Autors zeigt den Prinzen auf den Gipfeln des Fitz Roy Massivs. Die Form der Isla de los Pajaros (Vogelinsel), der Halbinsel Valdes vorgelagert, inspirierte St-Exupery zur Zeichnung der den Elefanten verdauenden Boa Konstriktor – oder zum Hut – je nachdem, wie man es sieht.

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Schlangen wie die, die dem Kleinen Prinzen wieder zu seinem Asteroiden und zu seiner einzigartigen Blume zurück verhilft, sehen wir selten – aber es gibt sie.

Ja – und dann der unendlich klare Sternenhimmel! Ich stehe oft in der Nacht ehrfürchtig draußen und bestaune ihn. Und irgendwo da oben wohnt er nun auf seinem kleinen Planeten, pflegt seine schöne Blume, die jetzt hoffentlich weniger kapriziös ist, fegt seine Vulkane –  auch den erloschenen, denn man kann ja nie wissen!

St-Exupery hat den Erfolg des  Kleinen Prinzen nicht mehr erlebt. Nach der ersten Publikation 1944 verscholl er während eines Fluges für die französische Luftwaffe in der Wüste Algiers.

6. Mai 2010

36 Patagonien: Carretera Austral (Chile) – Ruta 40 (Argentinien)

Filed under: 36 Chile: Carr. Austral — vokobremen @ 18:58

27.3. – 2.4.2010  Die Einreise nach Chile ist eigentlich eine einfache Sache – wenn die Lebensmittelkontrollen nicht wären. Man darf in das Land kein Gemüse, kein Obst und keinerlei frische tierische Produkte einführen, sozusagen alles, was üblicherweise auf dem Tisch steht. Die Schwierigkeit ist also nicht der Grenzübertritt selbst, sondern seine Vorbereitung. Was kauft man wann ein, welche Nahrungsmittel müssen vorher aufgegessen werden und von was soll man nach dem Grenzübertritt leben, wenn tagelang kein Laden erreichbar ist. Da wir insgesamt viermal nach Chile einreisen müssen, wächst sich die Sache zum Dauerproblem aus. Kreativität ist gefragt. An der Grenze öffnet Barbara bereitwillig den Kühlschrank und den Vorratsschrank. Die Grenzer finden planmäßig ein Stück trockenen Käse oder eine halbfaule Frucht und tragen sie in einer Plastiktüte davon. Manchmal werfen sie auch einen Blick in den Kleiderschrank. Aber so ein Wohnmobil ist groß.

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Und plötzlich sind wir in Patagonien! Vor uns liegt eine Land, um das sich Legenden ranken, das Sehnsüchte weckt, Reisende aus aller Welt magisch anzieht und dem Bruce Chatwin sein berühmtes Buch gewidmet hat: „In Patagonia“. In Futaleufu, dem ersten Ort nach der Grenze, kaufen wir in einem Lädchen noch ein paar Kleinigkeiten ein und fahren über die Schotterpiste 231 nach Westen – auf die legendäre Carretera Austral. Schon der Name dieser Straße sorgt für Aufregung bei Südamerika-Reisenden, gilt sie doch noch immer als Abenteuertrip für Roadrunner. Sie ist gewissermaßen das südliche Gegenstück zum Dempster Hwy. in Nordkanada und dem Dalton Hwy. in Alaska. Ihr ursprünglicher Name ist Carretera Longitudinal Austral Presidente Pinochet, denn mit ihrem Bau wurde noch in der Zeit der chilenischen Diktatur begonnen. Sie sollte den unerschlossenen Süden Chiles an das Straßennetz anbinden. Fertiggestellt wurde sie aber erst 20 Jahre später im Jahre 1996.

Heute wird sie nur noch Carretera Austral (Südliche Straße) genannt und hat die Nummer 7. Sie beginnt in Puerto Montt, ist 1.240 km lang und eigentlich eine Schotterpiste. Auch wenn inzwischen einige Stücke geteert sind, kann die Fahrt, vor allem bei Regen, tatsächlich zum Abenteuer ausarten. Tiefer Schlamm oder weggespülte Teile können das Befahren auch gänzlich unmöglich machen. Und es regnet oft hier, denn die Straße führt durch kalten Regenwald nach Süden, zwischen den Fjorden der Westküste und den Patagonischen Kordilleren, an denen sich die Westwinde abregnen. Aber auch bei Trockenheit ist die Carretera Austral streckenweise eine Herausforderung – eng, steil und kurvig, viel Wellblechpiste, voller Löcher und dazu oft beidseitig zugewachsen, was bei entgegenkommenden Fahrzeugen zu brenzligen Situationen führen kann.

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Wir haben beschlossen, uns die ersten 120 km von Puerto Montt aus zu schenken, um die damit verbundene Verschiffung durch den Golfo de Ancud zu vermeiden. Die Fähre geht zu dieser Jahreszeit sehr unregelmäßig, was tagelange Wartezeiten nach sich ziehen kann.

Die ersten 270 km sind Schotterpiste und größtenteils sehr ruppig. Mitten in dieser Wildnis treffen wir plötzlich auf eine Viehauktion. Ein Gaucho treibt die zum Verkauf stehenden Rinder durch ein Gatter, damit die Interessenten sie von allen Seiten besichtigen können. Dann beginnt das Bieten. Wir schauen uns das Spektakel eine Weile an und wundern uns: Viehwirtschaft – ausgerechnet hier? Die Auflösung des Rätsels lässt nicht lange auf sich warten. Der kalte Regenwald ist in den Tälern weit gehend abgeholzt und in  Weideland umgewandelt worden, das beidseitig der Straße durchgehend eingezäunt ist. Flüsse und Seen kann man bestenfalls aus der Ferne besichtigen, denn alle Wege dahin haben Tore, die verschlossen sind. Nicht mal einen Finger kann man ins Wasser tauchen. Lediglich in einigen Gebieten, die als Nationalpark oder Naturreservat ausgewiesen sind, kommt man noch unmittelbar mit dem Urwald in Berührung. Doch hier gibt es überhaupt keine Seitenwege Entsprechend schlecht sind die Campingmöglichkeiten. Nach langem Suchen kommen wir abends etwas abseits der Straße auf einer Schotterrampe unter, eingerahmt von blühenden Fuchsien, Farnen und Nalca-Stauden, deren Blätter einen Durchmesser von zwei Metern erreichen können.

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In Puyuhuapi machen wir Halt. Das Dörfchen wurde von Deutschen gegründet, worauf einige Namen noch heute hindeuten, z.B. die Otto-Uebel-Straße, die Walther-Hopperdietzel-Brücke oder das Cafe Rossbach, in dem wir einkehren. Der Wirt – zweite Einwanderergeneration – spricht noch fließend Deutsch. Er öffnet sein Cafe eigens für uns und serviert richtigen Pflaumenkuchen mit Streuseln. Reichtümer sammelt er hier nicht, wie er uns erzählt. Im Winter, wenn keine Touristen kommen häufen sich die Schulden, die er im kurzen Sommer wieder abzahlen muss – ein ständiger Kreislauf.

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Wenig später gibt es dann noch eine willkommene Abwechslung. Ein kleiner Abstecher zu den hängenden Gletschern im Parque Nacional Queulat. Verglichen mit dem, was uns an Gletschern noch erwartet, ist es zwar nur ein bescheidener Anfang, aber wir können uns schon mal einstimmen.

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Danach folgt ein 290 km langer Abschnitt, der mittlerweile fast durchgehend geteert ist. Das macht die Fahrt zwar komfortabler, nimmt der Carretera Austral aber noch mehr von ihrem Reiz. Etwa in der Mitte dieser Strecke liegt Cohaique, mit 45.000 Einwohnern die einzige größere Stadt an der C.A. Wir nutzen die Gelegenheit für die Rundumversorgung – Lebensmittel, Gas, Wasser und Diesel – und fahren weiter. Insgesamt sind wir ziemlich enttäuscht vom bisherigen Verlauf dieser viel gepriesenen Traumstraße und überlegen, ob wir sie verlassen und eine Abkürzung über Puerto Ingeniero Ibanez zurück nach Argentinien auf die Ruta 40 nehmen sollen. Letztlich entscheiden wir uns doch dagegen, denn die Fahrt um den riesigen Lago General Carrera verspricht noch einiges an Naturschönheiten – ein guter Entschluss, wie sich später herausstellt.

Kaum haben wir die Abzweigung nach Westen passiert, hört die Teerstraße auf und weicht einer 270 km langen Schotterpiste, die später um den See führt. Gleichzeitig ändert sich die Landschaft. Hier finden wir dann das, was wir von der Carretera Austral und Patagonien erwartet hatten: Wilde Natur, fast unbesiedelte Landschaft und endlich wieder freie Stellplätze der Kategorie „traumhaft“. Wir fahren am Rio Ibanez entlang, dessen ungestüme Gewalt während der Schneeschmelze an den vielen toten Bäumen abzulesen ist. Jetzt ist er friedlich und bietet uns einen wunderbaren Übernachtungsplatz mit Sonnenuntergang. Zuerst spiegeln sich die glutroten Wolken im Fluss, dann taucht der aufgehende Vollmond  die schneebedeckten Berge in silbriges Licht.

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Am nächsten Tag kommen wir an den Lago de General Carrera und finden eine Bilderbuchlandschaft vor. Ein campesino steht vor seinem bescheidenen Häuschen, als ich ein Foto mache. Stolz erzählt er uns, dass dies sein Land sei und es sich gut leben lasse in Patagonien. Das Wetter sei gut und die Winter nicht zu kalt – alles ist eben relativ.

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Die Straße ist über dem Sees in die Steilhänge eingeschnitten, was uns stundenlang freie Sicht auf das Wasser die gegenüber liegenden Berge ermöglicht. Immer wieder halten wir an, um uns an diesem Panorama zu erfreuen.

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An der Südspitze des Sees biegen wir ab nach Osten auf eine kleine Piste, die am südlichen Ufer entlang zum Grenzort Chile Chico führt. Die Carretera Austral endet erst 290 km weiter südlich an der kleinen Siedlung Villa O’Higgins. Aber diese 580 km Schotter hin und zurück wollen wir uns nicht mehr antun. Stattdessen genießen wir noch einmal 120 km lang den Blick auf das Bergpanorama, das aus dem tiefblauen Wasser am Nordufer des Sees aufsteigt.

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Abends dann die Krönung: Wir campen vor Chile Chico auf einer einsamen Klippe, hoch über dem Wasser. Zur linken Seite fällt der Blick auf eine Inselgruppe und den Ostteil des Sees, der schon in Argentinien liegt und dort Lago Buenos Aires heißt. Rechts unter uns liegt das Städtchen und wir können von hier oben das geschäftige Treiben in dem kleinen Hafen beobachten.

Um Mitternacht bekommen wir dann noch Besuch. Das Auge des Gesetzes hat vom Ort aus das Licht in unserem Auto gesehen und schaut drei Mann/Frau hoch mal nach, wer da oben wohl ist. Während sie mit Barbara plaudern, versuchen sie neugierig einen Blick ins Innere unseres Häuschens zu erhaschen. Eine casa rodante (Wohnmobil) aus Europa sieht man in Chile nicht alle Tage. Dann wünschen sie uns eine gute Nacht und fahren davon. Mit dem Segen der Staatsgewalt schläft’s sich gleich noch besser.

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Nur wenige Kilometer hinter Chile Chico ist der Grenzübergang. Der argentinische Zoll verzichtet auf Lebensmittelkontrollen, obwohl es auch in Argentinien Einfuhrbeschränkungen gibt. Ab hier ist die Straße geteert, eine echte Wohltat nach 360 km Schotterpiste. Noch 30 km haben wir den Lago Buenos Aires neben uns und sind kurz darauf zurück auf der Ruta 40. Eine knappe halbe Stunde wiegt uns die berüchtigte Straße mit glattem Belag in trügerischer Sicherheit, dann lehrt sie uns das Fürchten.

Die Ruta 40 ist eine einzige Baustelle. Eine endlose, holprige Behelfspiste schlängelt sich um die teilweise schon fertige neue Trasse, was uns fatal an den Horrortrip in Bolivien erinnert. Auch als die Baustelle hinter uns liegt, wird die Piste kaum besser, nur öder. Kerzengerade zieht sie sich durch die schmutzig braune Wüste, und das über 450 km. Einzige Abwechslung sind die Staubwolken, die im Schnitt alle dreiviertel Stunden von entgegenkommenden Fahrzeugen aufgewirbelt werden. Denn die Gegend ist einsam – sehr einsam! Auf der ganzen Strecke gibt es nur ein einziges winziges und staubiges Nest: Bajo Caracoles – „Bajo“ steht hier wohl für „erbärmlich“. Genau dort stellen wir fest, dass man unseren Tank in Chile Chico nur 3/4 voll gemacht hat. Das wird bis zur nächsten Tankstelle in Tres Lagos nicht reichen. Als wir uns in dem Ort erkundigen wollen, ob man hier irgendwo ein paar Liter Diesel bekommen kann, entdecke ich im Hinterhof eine uralte rostige Tanksäule. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie noch in Betrieb ist, aber Fragen kostet nichts. Sie ist in Betrieb und es kommt sogar richtiger Dieselkraftstoff raus – ein ganzer Tank voll. Doch damit nicht genug. Der Inhaber unterhält auch einen kleinen Laden mit allem, was der Gaucho so braucht, und er verkauft Snacks. Wir entdecken hinter der fast blinden Scheibe einer Vitrine zwei Stück selbst gebackenen Apfelkuchen, die wir uns sofort sichern und dazu Kaffee bestellen. Im Kreise von Truckern und Gauchos, die sich gerade ein Mittagsbierchen gönnen und der Kinder des Inhabers, die gebannt in den Fernseher glotzen, vertilgen wir unsere Beute und fahren zufrieden weiter. Ich werde nie wieder ein abfälliges Wort über Baja Caracoles verlieren.

Jetzt lernen wir auch den gefürchteten patagonischen Wind kennen. Was in Deutschland zu sofortigen Sturmwarnungen führen würde, ist hier eher der Normalfall. Er kommt von Westen, d.h. für uns, von der Seite. Den ganzen Tag über zerre ich einseitig am Lenkrad, bis mir abends die Arme wehtun. Die Suche nach einem Nachtplatz gestaltet sich sehr schwierig. Es gibt kaum Seitenwege und wenn, führen sie zu einer estancia und sind vergattert. So sind wir froh, als wir abseits der Straße eine mehrere Meter tiefe, verlassene Baugrube erspähen, die uns Schutz vor dem Wind und etwas Deckung bietet. Wir wissen nun, was andere Reisende meinten, als sie die Ruta 40 beschrieben. Sie haben nicht übertrieben. Aber manchmal sagen Bilder mehr als Worte. Hier zwei Eindrücke vom Fahrersitz aus.

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Der folgende Tag bringt wenig Veränderung, nur dass etwas Leben an die Straße kommt. Nicht durch Menschen, sondern Nandus und Guanacos, die größeren Vettern der Vikunjas. Es gelingt mir nicht, sie von vorn zu fotografieren, denn immer wenn wir in ihre Nähe kommen, bringen sie sich in Fluchtstellung und zeigen uns kollektiv ihr Hinterteil.

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Und dann taucht, wie aus dem Nichts der Lago Cardiel auf. Die Sicht reicht über 50 km bis auf die Bergkette am anderen Ufer des Sees. In seinem leuchtenden Türkis bildet er zur graubraunen Wüste einen so unwirklichen Kontrast, dass man an eine Fata Morgana glauben könnte.

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Wir atmen auf, als wir in Tres Lagos ankommen, wo die Straße wieder geteert ist und es auch bleibt – bis zu unserem nächsten Ziel, dem Monte Fitz Roy.

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